Yukon – Kanada – Aus mintgrün wird schweinchenrosa

von Berthold Baumann

Rund sieben Monate nachdem ich den Yukon verlassen hatte, war ich Mitte Juni wieder da. Die Hütte war soweit unverändert. Ich wollte zuerst das Äußere des Hauses bearbeiten, sprich die abblätternde, mintgrüne Farbe abschleifen und anschließend ein dunkles Rot auftragen, damit sich die Hütte zumindest farblich ins Dorf einpassen würde . Bei der nächsten Fahrt nach Whitehorse schlug ich im örtlichen Baumarkt nach ausführlicher Beratung groß zu: Schleifpapier, Farbe, Rollen, Pinsel … Halt alles, was der Restaurator so braucht. Die Farbe wurde vom kundig wirkenden Verkäufer nach den Vorgaben zusammen gemixt. Eine Tätigkeit, bei der man eigentlich nicht viel falsch machen kann, dachte ich, und verzichtete auf die Qualitätskontrolle … Daneben bezahlte ich die jährlich anfallende Grundsteuer von 100 Dollar bei der Regierungsbehörde.

Der Schleifer

Die nächsten drei Wochen verbrachte ich mit dem Abschleifen der alten Farbe. Das Wetter machte mir nämlich einen Strich durch die Rechnung: Sobald ich die elektrische – den Saft bekam ich wieder von meinem Nachbarn Hans – Schleifmaschine auch nur anschaute, regnete es. Also hieß es täglich: Anfangen mit schleifen, nach einer halben Stunde wieder aufhören, weil es zu regnen begann, eine Stunde warten, bis die Hütte abgetrocknet war, wieder schleifen, nach einer halben Stunde aufhören, weil es regnete usw. An einigen Tagen war die Wetterlage auch stabil, da regnete es durch. Erinnerungen an meine niederrheinische und bergische Heimat kamen auf. Trotzdem dachte ich nach den ersten beiden Tagen, mir fielen die Arme ab. Danach tat mir der Rücken weh, weil ich mich auf der Leiter dauernd total verrenken musste, um alle Stellen zu erreichen. Anschließend waren es die Beine und Füße, ebenfalls vom Herumhampeln auf der Leiter. Tja, so ist das eben, wenn ein Schreibtischtäter wie ich, mal körperlich arbeitet.

Andererseits machte es mir auch Spaß und es war befriedigend, abends auf das vollbrachte Tagewerk zu gucken. Doch der Regen hatte noch andere Folgen. Überall standen kleine und große Pfützen, ideale Voraussetzungen für die Brut der Mücken. Normalerweise gibt es in Keno City davon nicht allzu viele, weil das Dörfchen knapp 1.000 Meter hoch liegt und meistens ein leichter Wind weht. Doch in diesem Jahr stürzte sich die geflügelte Pest auf jeden, der noch ein Tröpfchen Blut in sich hatte. Die Mücken, die um meinen Kopf und die Schultern herum wirbelten, sah ich ja und konnte sie verscheuchen, aber nicht die an de Füßen. Bei warmem Wetter stand ich natürlich nur in T-Shirt, Shorts und Trekkingsandalen auf der Leiter. Nachts juckten mir die Füße und vor allem die Knöchel so sehr, dass ich aufwachte und mich ein halbe Stunde in einen Eimer mit kaltem Wasser und Backpulver – angeblich ein altes Yukon-Rezept – stellte. Nach ein paar Tagen kam mir eine geniale Idee: Ich steckte meine Füße tagsüber einfach in zwei kleine Baumwollsäckchen, die ich zufällig dabei hatte und schon war Ruhe. Toll, ne?

Große Stille in Keno City

Ansonsten genoss ich die Ruhe in Keno City. Ruhe herrschte nicht nur wenn meine Schleifmaschine mal still stand, sondern generell. Hauptgrund dafür ist neben der geringen Anzahl der Dorfbewohner vor allem deren Verhältnis zueinander: Aus irgendwelchen Gründen, an die sich teilweise beide Parteien nicht mehr erinnern, ist die eine Hälfte sauer auf die andere und sie sprechen nicht mehr miteinander. So waren denn beim Community Meeting – entspricht wohl einer Ratssitzung – inklusive mir gerade mal vier Männekes anwesend. Und wie viel Bürokratie so ein kleines Örtchen braucht.

Ich hörte meistens abends gegen acht Uhr mit dem Schleifen auf, duschte ausgiebigst (war wirklich angebracht: Sägemehl in den Haaren, in den Augen, in den Ohren und selbst in der Nase, trotz Augen-, Nasen- und Mundschutz), machte mir was zu essen, las ein bisschen und machte so um Mitternacht noch ein Töurchen durch die Stadt. Toll war es, wenn die Sonne beim Untergang gegen Mitternacht die Wolken von unten beleuchtete: Teilweise schimmerten sie dann wie Gold. Klar, welche andere Farbe sollten sie im Yukon auch sonst haben?

Zwischenzeitlich bekam ich Besuch vom Building Inspector Kevin aus Dawson City. Der war zu einem Meeting im Dorf und kam anschließend bei mir vorbei. Bisher hatte ich ja nur telefonisch Kontakt zu ihm gehabt. Zusammen mit seinem dreibeinigen Hund schaute er sich meine Hütte an. Danach stellte er einen ganzen Katalog von Forderungen auf, die ich noch erfüllen musste, um die Bauabnahme zu erhalten. Unter anderem bräuchte ich einen neuen Schornstein, zwei weitere Träger unter der Hütte – und das obwohl die 30 Jahre mit den zwei Trägern, die drunter sind, perfekt im Yukon gestanden hatte -, einen Rauchmelder und, und, und. Als Kevin meine vor Schreck geweiteten Augen sah, beruhigte er mich direkt: “Du kannst dir damit so viel Zeit lassen, wie du willst. Es reicht aus, wenn du pro Jahr einen Nagel einschlägst und mir Bescheid sagst.” Das müsste selbst ich schaffen. Ohne Hilfe. Aber der Traum von Hütte abbauen, transportieren, aufbauen, Strom und Wasser anschließen und fertig war damit ausgeträumt.

Nach schier endlosen drei Wochen war ich – mit dem Schleifen – fertig. Es lag natürlich noch jede Menge Schleifstaub auf der Hütte, was beim Anstreichen stören würde (den Tipp bekam ich von Geordie). Also haute ich Lucien, den Oberfeuerwehrmann von Keno City an, und der berief prompt eine Übung für sich und seine Helferin Yvonne ein, rückte mit dem dorfeigenen Feuerwehrwagen aus und spritzte mir die Hütte ab. War ‘ne witzige Aktion. Kostete mich denn auch nur ein Sixpack Canadian, weil Lucien für die Übung eh Geld von der Regierung bekam.

Kleines, farbliches Problem

Lustig öffnete ich nach dem Ende der Schleiferei und dem Aufbringen der Deckfarbe den ersten Topf der eigentlichen Farbe. “Hupps”, dachte ich, “das ist aber sehr hell. Na ja, erst mal umrühren, dann wird das schon”, war mein nächster Gedanke. Ich rührte – die Farbe blieb hell. Nächster kluger Gedanke: “Wenn ich die Farbe auf die Wand klatsche, wird es bestimmt dunkler”. Es wurde nicht dunkler. Ein weiterer kluger Gedanke und Beweis meines vollsten Vertrauens in den Fachberater des Baumarktes in Whitehorse: “Wenn die Farbe abtrocknet, wird es ganz sicher dunkler.” Ich strich also einen Teil der Wand und ging zum Essen in die Snackbar von Mike, ohne meine Hütte noch eines genaueren Blickes zu würdigen. Wieder zurück gehend wurde mir bei ihrem Anblick aus 50 Metern blitzartig bewusst, welche Farbe sie nun hatte: “Schweinchenrosa!!!!!!!!”

Ein Aufschrei ging durchs ganze Dorf. Es war der klassische Fall für das Lehrbuch “Wie mache ich mich ruckzuck unbeliebt”. Klar, ich hätte jetzt nach Whitehorse fahren und die Farbe umtauschen können, waren ja nur mal eben knapp 1.000 Kilometer hin und zurück. Allerdings war ich eine Woche später mit einer Freundin in Anchorage/Alaska verabredet . Außerdem wollte ich diese Hausanstreichgeschichte endlich hinter mir haben und mich mit dem Kanu in die Wildnis stürzen. Konsequenterweise strich ich die Hütte also inklusive der Türen “Schweinchenrosa” und lediglich Fenster- und Türrahmen in weiß. Das sieht nun aus wie ein Barbie-Haus, aber ich beschloss das zu mögen. Außerdem muss man auch die Vorteile sehen: Ich brauche nun niemandem mehr den Weg zu meiner Hütte erklären. Meist gehörter Kommentar: “Die ist ja wirklich rosa!”

Die Straße an der mein Grundstück und die Hütte liegen hat noch keinen Namen. Für mich war sie ab da die “Crazy House Road”. Damit meine ich jedoch nicht nur meine Behausung. Etwa 50 Meter weiter steht nämlich an der gleichen Straße das berühmte “Bottle House”. Das hatte Geordie, der Besitzer der Bar und Verkäufer meines Grundstücks, erbaut. Früher gab es im Yukon kein Flaschenpfand und bei dem trinkfreudigen Völkchen in und um Keno City sammelten sich allerhand leere Bierflaschen an. Kurzerhand nahm Geordie rund 32.000 davon und baute mit ihnen und ein wenig Zement eine Isolierung für ein Holzhaus. Es soll sehr gut isolieren. Während nachfolgender Kanutouren, war es für mich immer eine witzige Überlegung zu berechnen, was meine Kumpels und ich so hätten zustande bringen können. Zumindest in Gedanken wurde ich zum Erbauer des höchsten Wolkenkratzers der Welt.

Danach machte ich mich auf die geplanten Wander- und Kanutouren in Alaska auf. Einen Monat später war ich froh, wieder im “heimischen” Yukon zu sein. Irgendwie gefiel es mir hier wesentlich besser. Einige Male, wenn ich in wunderschönen Regionen des Yukons wie dem Kluane Nationalpark, am Dempster oder Campbell Highway oder der Canol Road unterwegs war, hatte ich mich gefragt, ob ich nicht besser dort meine Zelte hätte aufschlagen sollen. Bog ich dann auf den Silver Trail ein, sah etwas später das weite Tal des McQuesten Rivers, den Mount Haldane, die Bergketten dahinter und Keno City, wie es sich in diese Berge schmiegt, wusste ich wieder, dass meine Entscheidung richtig gewesen war. Die Region hat etwas, das mich fasziniert.

In Keno City war während meine Abwesenheit – wie üblich – nicht viel passiert. Bis auf die Tatsache, dass ein Grizzly des Öfteren durchs Dorf gelaufen war. Mist, immer wenn ich nicht da bin. In einer Nacht umarmte er auf dem Campingplatz hinter meiner Hütte ein Wohnmobil. Die Touris verließen den Platz am nächsten Tag fluchtartig. Komisch, alle wollen sie Bären sehen, und wenn die dann da sind, hauen die Touris ab. Das soll einer verstehen. Mounties und Förster fingen den Bären später mit einer Falle ein und verfrachteten ihn weit, weit weg.

Weiterhin ohne Wasser und Strom

Zwischenzeitlich machte ich mich hinsichtlich Strom- und Wasseranschluss schlau: Für die Elektrizität bräuchte ich voraussichtlich einen neuen Strommast, da meine Hütte zu weit vom nächsten entfernt stand, um einfach eine Leitung zu ziehen. Das würde natürlich wieder einiges mehr kosten. Außerdem bräuchte ich dafür die Bauabnahme und die Leitungen in der Hütte müssten von einem Elektriker neu gelegt werden. Damit legte ich den Strom erst mal zu den Akten, da meine finanziellen Mittel dafür nicht ausreichen würden. Schließlich war es im Sommer immer hell, ich im Winter nicht da und im Herbst konnte ich weiter eine Verlängerungsschnur zu meinem Nachbarn Hans legen, um eine Leselampe und mein Laptop mit dem nötigen Saft zu versorgen.

Blieb noch der Wasseranschluss, doch auch hier stellten sich einige Probleme ein: Für die Pumpe hätte ich natürlich Strom gebraucht. Es war zwar bereits einen Abwassertank auf dem Grundstück im Boden eingelassen worden, aber wie ich nachher herausfand, anscheinend ohne Genehmigung. So hätte ich das Ding erst mal ausbuddeln und inspizieren müssen, ob dieser Tank überhaupt für den Yukon genehmigt war. Eine Kanalisation gibt es in Keno City nämlich nicht. Jedes Grundstück hatte seinen Abwassertank – oder eben ein Plumpsklo und kein fließendes Wasser – und das Frischwasser wird einmal in der Woche vom damit vom Keno City Community Club beauftragten Fahrer mit dem Wassertruck gebracht. Für diesen Service bezahlt man je nach Größe des Tanks bis zu 30 Dollar im Monat, die ich damit sparte. Schließlich nutzte ich weiter Dusche und Toilette im Club – gegen den geringen Obolus von zehn Dollar monatlich – und holte mir dort mit einem 20 Liter-Kanister Frischwasser.

Anfang September stand der erste Besuch aus der Heimat an: Freunde von mir, Suse und Jürgen aus Lünen, wollten mich besuchen und den Yukon erleben. Stolz erzählte ich Marilyn, die im Sommer ein kleines Cafe in Keno City betreibt, davon. Sie fragte direkt: “Und wo schlafen die?” – “Na, bei mir in der Hütte natürlich”. Ihre Antwort: “Toll, ohne Toilette, ohne Strom und ohne Heizung!” knickte mich dann doch ganz schön. Also bearbeitete ich zumindest die Inneneinrichtung. Bei meiner Nachbarin Helen stapelte ich Brennholz und staubte dabei im doppelten Sinne zwei Stühle ab. Außerdem stellte ich den Campingstuhl, den ich bei den Kanutouren dabei hatte und die Rücksitzbank eines alten Autos ins Wohnzimmer. Das Schlafzimmer hatte ich schon mit einer großen Luftmatratze und einem aufblasbaren Sessel ausgestattet. Ich war mächtig stolz auf meine Designerwohnung.

Und auch meinen Gästen gefiel das einfache Leben ohne Wasser und Strom: Heizen mit Holz, Kochen mit dem Gaskocher oder auf dem Lagerfeuer und abends im Licht der Kerzen sitzen. Alles geht dadurch eben etwas langsamer und man muss sich mehr auf die Umweltgegebenheiten – sprich das Wetter – einstellen. Auf der anderen Seite erlebt man alles intensiver, forstet nicht jede Tätigkeit auf mögliche Effizienzsteigerungen durch und gewinnt so an Lebensqualität. Die Aussicht aus dem Fenster ersetzt das Fernsehprogramm, das Holz hacken und Wasser schleppen den Gang ins Fitness-Studio und die wenigen Bewohner des Yukons freuen sich noch, andere Menschen zu treffen und an ihrem Leben teil zu nehmen, anstatt mit dem “Bloß-nicht-angesprochen-werden-Blick” durch die Straßen zu gehen.

Bunter Farbtupfer im grauen Einerlei

Irgendwann ging auch der längste Urlaub zu Ende. Ich machte meine Hütte winterfertig: Dazu nagelte ich ein paar Holzbretter vor die großen Scheiben und brachte ein Schloss an der Tür an. Fertig! Am Tag, bevor ich den Yukon für mindestens sieben Monate verließ, machte ich noch eine Wanderung auf den Sourdough Hill unmittelbar hinter meiner Hütte. Es lag Schnee und die Sonne lachte vom strahlend blauen Himmel. Von oben hatte ich einen wunderschönen Überblick auf einen Teil der Bergwelt des Silver Trails und natürlich Keno City. Im Schnee sahen alle Häuser ein wenig gräulich aus, nur eines ragte als rosa Farbtupfer aus diesem grau-weißen Einerlei heraus: Meine Hütte. Also sagte ich Insa nach meiner Rückkehr: “Ist doch eine schöne Abwechslung, bei tristem Wetter mal was buntes im Dorf zu haben.” “Du musst dir das ja auch nicht den ganzen Winter über anschauen”, entgegnete sie. Nun, da hatte sie – leider – auch wieder recht.

Auch in den folgenden Sommern kehrte ich selbstverständlich in den Yukon zurück, immer in der bangen Erwartung, die anderen Keno-Bewohner hätten mir die Hütte über den Winter als öffentliches Ärgernis abgefackelt. Glücklicherweise passierte nichts dergleichen. Leider fehlten mir jedoch weiterhin die finanziellen Mittel, sie an das Stromnetz anzuschließen oder die Wasserversorgung zu installieren. Von den nötigen Kenntnissen mal ganz abgesehen. Lediglich leichte (und günstige) Korrekturen nahm ich vor. So legte ich die Hütte mit Hilfe von Bob und seines Bulldozers tiefer (ich möchte jetzt nichts weiter von “Manta-Hütte” hören), indem wir zwei Lagen der Holzblöcke heraus nahmen. Wenn mich jemand nach dem Grund fragte, erklärte ich immer, dass ich dann nicht so tief fallen würde, wenn ich ein oder zwei Biere zu viel getrunken hatte und nachts mal raus musste …

Außerdem drehten wir die Hütte dabei direkt um 90 Grad, so dass ich aus meinem Panoramafenster nicht mehr auf die Hütte meines Nachbarn sondern auf den Sourdough Hill schauen konnte. Dazu legten wir ein paar große Holzbalken unter die Hütte, schmierten sie dick mit Fett ein und nahmen die Holzblöcke heraus, so dass die Hütte auf den Balken ruhte. Dann wurde sie vorsichtig mit dem Bulldozer gedreht, mit den “Haushebern” wieder aufgebockt und die Holzblöcke drunter gelegt. Aus die Maus. Darüber hinaus kaufte ich mir ein paar Vorhänge, um auch im Inneren kosmetische Korrekturen vorzunehmen. Da diese aus Spitze waren, meinte Insa beim nächsten Besuch, dass die die Hütte von außen einem Freudenhaus immer ähnlicher würde. Das ist okay, schließlich freue ich mich ja auch immer, wenn ich dort bin!

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