Auf nach Kanada – Sechstes Kapitel

von Peter Iden

Das fünfte Kapitel finden sie hier

Die Geschichte einer (etwas anderen) Auswanderung

(Eine kurze Notiz zu meinen Aufnahmen: sie wurden saemtlich mit einer Agfa-Box im Format 6×9 cm gemacht. Der Verschluss funktionierte mit einer Geschwindigkeit von 1/25 Sekunden. Es war meine erste Kamera, die ich in 1947 im Alter von 10 Jahren bekam. Ich habe sie noch heute in meinem “Kamera Museum”, zusammen mit allen anderen Kameras, die ich in 62 Jahren benutzt habe.)

Donnerstag, 15. April 1954 – auf See

Ich bin gestern schliesslich doch noch eingeschlafen. Heute morgen aber auch schon frueh aufgewacht.

Draussen ist Windstaerke 6 bis 7, der Sturm peitscht die Wogen auf und die Brecher spritzen ueber die Back und das Vorschiff. Wer sich nicht festhaelt und aufpasst, laeuft Gefahr, aussenbords zu gehen.

Nur den Sturmvoegeln und Moeven macht dieses Wetter nichts aus. Sie jagen ueber das Wasser dahin, tauchen ploetzlich ins Wasser und holen sich ihre Beute aus den Wogen.

11:00 Uhr – Gischt spritzt in alle Ecken des Schiffs, welches wild schlingert und stampft. Wir machen nur noch 3 Knoten Fahrt, so sehr stemmen sich uns die Brecher und der Sturm entgegen (fuer die Knoten-Unkundigen, ein Knoten ist 1.852 Kilometer, also fuhren wir 5.55 km/h).

Regenwolken ziehen auf und bald giesst es in Stroemen. Der Sturm fegt die Regentropfen gegen die Fenster und Bulleyes, dass es nur so knallt.

Immer wieder saust das Vorschiff in die gewaltigen Wellentaeler hinein und nimmt Brecher nach Brecher ueber das ganze Schiff. Sogar die hoch liegende Bruecke bekommt etwas davon ab.

Dauernd wird man beim Gehen gegen die Waende geschleudert, so viel man sich auch festhaelt. Aber die “Colonia” ist ein sturmtuechtiges Schiff und haelt sich tapfer.

Gegen 14:00 Uhr sind die Schaumkaemme von den Wellen fast ganz verschwunden. Der Wind laesst merklich nach. Die See ist jedoch noch sehr kabbelig, das Schiff wird immer noch hin und her gerissen.

Waehrend des Sturms wagte ich mich dreimal nach draussen, um Bilder aufzunehmen. Bei meinen Aufnahmen musste ich oft akrobatische Kletter- und Balance-Kunststuecke ausfuehren. Es ist nicht leicht, sich bei Windstaerke 7 gleichzeitig festzuhalten, das Objektiv vor Spritzern zu schuetzen und dann noch den richtigen Moment des Eintauchens der Back in die Brecher abzupassen. Zudem beissen noch die salzigen Wasserspritzer an den Haenden, im Gesicht und in den Augen (erst spaeter fand ich heraus, dass die meisten Aufnahmen von den Wellen und Brechern nichts geworden waren. Der Verschluss der Kamera war einfach nicht schnell genug).

Dreimal wurde ich dabei von Brechern ueberrascht. Jeder hatte mich total durchnaesst.

Seekrankheit hat den Moses und zwei andere Seeleute umgeworfen, wie auch zwei Passagiere, Frau Martens und Frau Hoffmann.

15:00 Uhr. Strahlendster warmer Sonnenschein. Erstaunlich, diese so ploetzlichen Aenderungen des Wetters auf See. Sie ist jetzt bis auf die hohe Duenung ganz glatt. In kurzer Zeit ist alles, was nass war, wieder trocken.

Einige mutige Passagiere beginnen sogar wieder mit ihren Spaziergaengen auf dem Vorschiff und versuchen krampfhaft, gerade zu gehen und die Balance zu halten. Der Rest geniesst den Sonnenschein auf dem Achterdeck.

16:00 Uhr. Wir sitzen wieder in einem neuen Sturm. Die “Colonia” zittert und schlingert wie vorher.

Bis in die Nacht wuetete die See. Schlafen bei dem Geruettel war nur sehr schwer moeglich. Waehrend der Nacht wurde die Uhr wieder zurueck gestellt, diesmal aber nur um eine halbe Stunde. Unsere Zeit liegt also jetzt 3-1/2 Stunden vor der deutschen .

Karfreitag, 16. April 1954 – Auf See

Der Morgen verlief sehr ruhig, abgesehen von der starken Duenung, die der Sturm hinter sich her zog. Die Sonne strahlt wieder, ebenso wie die Gesichter der Passagiere.

12:00 Uhr. Das Wetter ist wunderbar, aber das Schiff holt stark nach Steuerbord ueber – bis zu 20 Grad. Das macht uns beim Essen viel Aerger. Die Bestecke haben das Bestreben, staendig durch die Gegend zu rutschen, der Kaffee-Spiegel in den Tassen schwankt erheblich, und diese werden ohne Untertassen serviert.

17:00 Uhr. Ein neues Tief rollt vom Suedwesten auf uns zu. Bei uns scheint noch die Sonne, aber wie lange noch?

20:00 Uhr. Dicke Luft. Wogen hoeher als je vorher, die Brecher spritzen bis zur Bruecke hinauf und ueberrollen das ganze Schiff.

Es ist der dritte Sturm auf dieser Fahrt!

23:00 Uhr. Ich habe schnell noch einmal eine “Nase voll Wind” genommen. Die Brecher sind jetzt so hoch wie das Schiff. Die “Colonia” ist so klein dass sie wie eine Nussschale in die Wellentaeler abrutscht, und zwar mit allerhand Schwung. Der Wind liegt um Staerke 8 herum.

In meiner Kabine ist auch allerhand los. Die Gardinen geben sich die groesste Muehe, bis zu 90 Grad in den Raum zu haengen. Sie schaffen es nicht ganz, aber alles, was nicht fest verkeilt ist, saust wie wild im Raum umher und knallt gegen die Waende.

Fenster oeffnen ist natuerlich unmoeglich, die Gischt wuerde sofort hinein klatschen. Das Kopfende meiner Koje liegt immer wieder unter dem Fussende. Wer dabei noch schlafen kann, ist wirklich ein Schlafkuenstler. Lesen ist wirklich die einzig moegliche Beschaeftigung, auch wenn man ab und zu mit dem Kopf gegen die Wand gerammt wird.

Hier geht es zum siebten Kapitel

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