Auf nach Kanada – Siebtes Kapitel

von Peter Iden

Das sechste Kapitel finden Sie hier

Die Geschichte einer (etwas anderen) Auswanderung

Oster-Sonnabend, 17. April 1954 – Auf See

Schliesslich war ich ueber dem Buch doch eingenickt, wurde aber um 02:00 Uhr nachts durch einen harten Ruck und gleichzeitigen Krach geweckt. Was war denn nun los? War die “Colonia” am Kentern?

Werden wir ein “Geister-Schiff” und kommen nie in Kanada an?

Schnell in Hose und Jacke geschluepft und hinaus. Aus allen Kabinen kamen verstoerte Passagiere heraus gerannt. “Was war dieser Krach?”.

Ein Blick in den Salon zeigte uns die Ursache. Saemtliche Tische und Stuehle waren in eine Ecke gerutscht, Aschenbecher und anderes lag auf dem Boden herum, Boecke waren umgestuerzt, Lampen umgefallen und die Gardinen herunter gerissen. Es sah aus wie nach einem Bombenangriff.

Auch in den Kabinen war wueste Unordnung, ueberall waren Passagiere und Mannschaft damit beschaeftigt, “Klarschiff” zu machen.

Das Schiff holte oft bis 30 Grad nach Backbord ueber. Standfest bleiben war Glueckssache. Wir mussten den Gang der Seeleute praktizieren: mit breiten Beinen, jeder Schiffsbewegung sanft nachgeben, stehen und zwischendurch einige Schritte machen. Das war bei dem unmoeglichen Schlingern der “Colonia” jedoch oft nicht moeglich.

Bis 03:00 Uhr standen wir noch auf der Bruecke und beobachteten, wie die haushohen Wogen das Schiff wie eine Nussschale hin und her warf. Die Brecher warfen immer wieder ihre Gischtwolken zu uns herauf. Bei diesem Tohuwabohu zu schlafen war fast unmoegich!

08:00 Uhr. Der Sturm hat nachgelassen, aber die von ihm erzeugte hohe Duenung laesst die “Colonia” oft schwer seitwaerts ueberneigen. Beim Essen werden Suppe, Kaffee usw. ohne Untertassen serviert.

12:00 Uhr. Seit “Feuerschiff Elbe I” haben wir 2,244 Seemeilen hinter uns (seit Hamburg 2,316). Bis Montreal sind es noch 1,562 Seemeilen. Unsere Durchschnitts-Geschwindigkeit bisher ist 9,87 km pro Stunde.

Nachmittags. Das Wetter ist unbestaendig, teilweise bedeckt, teilweise Sonnenschein. Sehr starke Duenung von seitwaerts, das Schiff holt immer noch 20 bis 25 Grad ueber.

15:00 Uhr. Die Duenung kommt jetzt schraeg von hinten und verursacht ein starkes Schlingern des Schiffs. Dicht hinter uns kaempft ein 10,000 Tonnen Frachter unter Ballast mit den Wellen und wird sehr schwer durchgeruettelt.

Abends. Die See ist wieder spiegelglatt, bis auf die ewige Atlantik- Duenung. Erstaunlich, diese ploetzlichen Wetter-Umschwuenge auf dem Atlantik, die wir nun schon so oft erlebten.

Es wird eine ruhige Nacht werden, wie gerufen fuer den Osterhasen, der uns morgen besuchen wird, wie er uns durch Funk ueber Norddeich- Radio mitteilen liess. Es ist alles fuer seinen Empfang vorbereitet!

Ostersonntag, 18. April 1954 – Auf See

Heute morgen um 07:00 Uhr sichteten wir Eis, zwar keine grossen Berge, sondern kleine Huegel und Schollen. Um diese Zeit treiben die Eismassen im Nordatlantik nach Sueden.

08:10 Uhr. Wir haben den suedlichsten Punkt unserer Reise erreicht und befinden uns ungefaehr auf der Hoehe von Mittel-Italien und Spanien. Ziemlich warmes, sonniges Wetter und gute Stimmung an Bord. Von der bisherigen Sued-West Fahrtrichtung (wegen Eisberg-Gefahr) muessen wir nun nach Nord-Westen abbiegen, um an unser Ziel zu kommen.

14.00 Uhr. Das Oster-Festessen war wirklich einmalig. Ueberhaupt ist das Essen auf der “Colonia” ausnahmslos gut. Die Koeche geben sich wirklich die groesste Muehe, uns nach allen Regeln der Kunst zu verwoehnen und zu maesten.

Nachmittags. Es wird fuehlbar kaelter. Man merkt, dass wir wieder nach Norden fahren. Trotzdem startete um 20:00 Uhr ein grosser Singabend mit der Mannschaft auf dem Achterdeck. Alte Shanties, Schlager, Heimat- Lieder, Wander- und Jux-Lieder sowie Zungenbrecher wurden wieder aufgewaermt und mit “Stuerbord, Backbord, Midships, Prost” begossen.

Es zeigten sich unter Mannschaft sowie Passagieren die Singbegabten und gaben etwas zum Besten. Der Dritte Messe-Steward lieferte die Begleitung auf dem Schifferklavier.

23:00 Uhr. Schnell noch einmal einen Blick ins Ruderhaus. Dort arbeitet das Radar-Geraet auf Hochtouren. Es hat einen Radius von 2 bis 10 Meilen und zeigt auf seinem Schirm jede Annaeherung von Schiffen sowie auch Eisbergen als weiss leuchtende Punkte.

Aber nicht immer reagiert das Radar-Geraet korrekt auf Eisberge. Da aber nun Eisberg-Gefahr besteht, wird zusaetzlich noch das Echolot eingesetzt.

Sollte wirklich einmal ein ploetzlicher Temperatur-Sturz eintreten – was in Eisbergnaehe stets der Fall ist, kann sich dein Teil des Eisbergs schon unter dem Schiff befinden. Nur ein Zehntel eines Eisbergs liegt ueber der Wasser-Oberflaeche, natuerlich eine grosse Gefahr fuer die Seefahrt.

Da das Meer hier ueber 5,000 Meter tief ist, faellt ein Ausschlagen des Echolots auf geringerer Tiefe sofort auf. Um allen Eventualitaeten noch weiter vorzubeugen, steht auf der “Colonia” ausserdem ein Matrose als Ausguck auf der Back (der Vorderspitze), ein anderer am Heck (dem Hinterteil).

So ist ein Auflaufen auf einen Eisberg, wie es damals bei der “Titanic” geschah, fast unmoeglich. Wir haben also keinen Grund fuer irgend welche Befuerchtungen.

(Fortsetzung folgt)

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