Unser Traum war es immer mal den “Indian Summer” zu erleben. Mit seiner Farbenpracht, den Geruch des Herbstes und dem sich langsam ankündigten Winters. So beschlossen wir in 1996 in das Yukon Territorium zu reisen und mit dem Kanu den gleichnamigen Fluß zu befahren. Wir, das bin ich und ein Freund, mit dem ich schon so manches Abenteuer erlebt hatte. Von Whitehorse aus – der Hauptstadt des Yukon Territoriums – wollten wir bis Carmacks fahren. Etwa die Hälfte der Strecke bis Dawson City.
Wir lernten durch Zufall einen Deutschkanadier kennen,der mit seiner kanadischen Frau in der Nähe der Stadt einen Kanuverleih betrieb. Bei ihnen bekamen wir alles,was man zu so einer Tour braucht.
Wir wollten den historischen Spuren der Goldsucher und Abenteurer von einst folgen und starteten unsere Kanutour auf dem mächtigen Yukon River unterhalb von Whitehorse. Auf einem Campground am “Lake Laberge” abseits der Zivilisation und mitten in der Wildnis folgten wir den alten Routen des großen Goldrausches. Vorbei an verlassenen Siedlungen, Trapperhütten und den Überresten alter Raddampfer genossen wir die unvergleichliche Landschaft des Yukon. Immer wieder stießen wir unterwegs auf Relikte aus vergangenen Zeiten.
Mit ruhigen Paddelstößen glitten wir dahin. Vorbei an sanft geschwungenen Hügeln, mit Nadelwäldern durchsetzt und mit farbenprächtigen Laubbäumen. Etwa 20 Kilometer nördlich von Whitehorse durchfließt der Yukon den Lake Laberge. Der 65 Kilometer lange und vier Kilometer breite See entstand durch eine Ausweitung des Flusses. Gefürchtet sind hier die starken Fallwinde in Süd-Nord-Richtung, die bis zu zwei Meter hohe Wellen aufkommen lassen. Man hatte uns auch vorgewarnt und uns empfohlen, an einer Seite des Sees zu bleiben. Und wie richtig diese Warnung war, erfuhren wir, als wir gegen Abend unser erstes Camp errichteten.
Der Wind frischte auf und in minutenschnelle bauten sich auf dem See meterhohe Wellen auf. Weiße Schaumkronen tanzten wie die Mähnen wilder Pferde auf der ans Ufer donnernden Brandung. Von unserem letzten Trip auf dem Tatlayoko Lake waren wir ja schon einiges gewohnt. Doch das hier war dagegen etwas ganz anderes. Noch nie hatten wir einen See erlebt, der so furchteinflößend sein konnte. Wir erkundeten rund um unser Camp die Uferregion und standen auf einer Klippe. Als Videofilmer nahm ich dieses unvergleichliche Schauspiel auf. Dabei mußte ich mich breitbeinig aufstellen um nicht von den starken,böigen Winden aus dem Gleichgewicht geworfen zu werden. Fast wie an der Pazifikküste donnerte die Brandung an das felsige Ufer. Wir mußten unsere Hüte festhalten, sonst wären sie auf und davon geflogen. Auch in der Nacht ließ der Sturm nicht nach.
Vorsorglich hatten wir unsere Zelte mit zusätzlichen Seilen gesichert. Unruhig verbrachten wir die Nacht und ich wurde immer wieder durch das Rauschen des Windes, das Knacken der Bäume und die Brandung aus meinem ohnehin nicht tiefen Schlaf gerissen. Früh stand ich am nächsten Morgen am kiesigen Ufer und sah auf den tobenden See hinaus. Grinsend kam Jürgen dazu und meinte: “Das ist was. Sowas habe ich auch noch nicht erlebt.”
Wir hofften,das sich der See im Laufe des Tages wieder beruhigen würde. Schließlich wollten wir weiter und nicht hier noch tagelang festsitzen. Doch der See zeigte uns nur den Stinkefinger.
Es verging der Tag, ohne dass der Sturm nachließ. So verbrachten wir die Zeit mit Kaffeetrinken, Essen und wieder Kaffeetrinken. Was nichts außergewöhnliches war. Hier draußen hatte man ständig Hunger. Die reine Luft, die Bewegung und die Anstrengungen des Paddelns erforderten viele Kalorien.
So verging der Tag und auch die nächste Nacht. Am darauffolgenden Morgen wurde ich früh wach; eine merkwürdige Stille umgab uns. Ich kroch aus dem Zelt und ging zum Ufer. Kaum ein Wind bewegte sich. Der See lag ruhig und still vor mir. Einzelne Wolken bewegten sich langsam am Himmel und es versprach, endlich ein schöner Tag zu werden. Nach einem kräftigen Frühstück beluden wir unser Kanu und stachen frohgelaunt auf den See hinaus.
Am Ende des Sees fängt uns die Geschichte des Goldrausches ein. Verlassene Orte zeugen von der Zeit in der die ersten Goldsucher diesen Fluss befuhren. Alte Mountie- und Telegraphenstationen, Handels und Versorgungsposten, Überreste alter Schaufelraddampfer und Goldwaschanlagen begleiteten uns während der gesamten Tour. Einige unserer Camps sind in unmittelbarer Nähe dieser historischen Stätten und geben damit viel Zeit zum Erkunden.
Diesen Tag konnten wir in aller Ruhe durchpaddeln. Wir schafften den ganzen See und kamen am Ende des Tages bei “Lower Laberge” an. Hier war in früheren Zeiten ein Handelsposten und eine Telegraphenstation; auch wurden hier bis in die 50er Jahre hinein die legendären Raddampfer mit neuen Feuerholz beladen. Eine historische Stätte.
Wir standen Abends noch lange am Ufer und genossen einen herrlichen Sonnenuntergang. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, bemerkte ich, dass die Zeltdecke eigenartig weiß erschien. Ich fühlte mit dem Finger und es war tatsächlich Rauhreif. Über Nacht war das Thermometer gefallen und Frost hatte sich eingestellt. Schnell zog ich meine warmen Klamotten an und kroch aus dem Zelt. Jürgen war schon wach und hatte ein “Campfire” entfacht. Fröstelnd hockte ich mich nahe ans Feuer und genoß den heißen Kaffee. Lachend bemerkte Jürgen, dass es acht Grad minus seien. So schnell geht das hier. Ohne Vorankündigung war hier der Winteranfang ins Land gezogen. Doch wir waren gut gerüstet. Wir wußten ja in Deutschland schon, dass es eventuell sehr kalt werden könnte. Wir waren schließlich Mitte September in Whitehorse angekommen und hatten unseren Urlaub bis in den Oktober hinein geplant. Die letzten paar Tage wollten wir, – wie immer – bei unseren Freunden in BC verbringen.
Doch jetzt ging es erstmal weiter auf dem berühmten und legendären Yukon River. Unterwegs hielten wir nur einmal kurz an um Wasser nachzufüllen. An den vielen kleinen Bächen die in den Fluß mündeten, waren die Ufer schon leicht vereist.
Wir kamen bei herrlichen sonnigen Wetter gut voran.
Auf fließenden Gewässern ist das Paddeln sowieso viel einfacher,als auf einem See. Der Yukon floß in dieser Zeit mit etwa 8-10 kmh dahin. Und so kamen wir fast mühelos vorwärts.
Fortsetzung folgt
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Ralph Pape