Wieder “Mann im Schnee”…
Nach wenigen Kilometern erreichten wir die Schlüsselstelle des gesamten Weges. Eine endlos lange Steigung lag vor uns, zuerst ziemlich lang gezogen und dann ging es für zwei drei Meter steil nach oben, so dass man fast senkrecht mit dem Skidoo stand. Das Ganze bekam natürlich seine Würze durch einige Kurven bis zur der steilsten Stelle. Man durfte nicht zu viel Gas geben, um nicht vom Trail getragen zu werden, dann hing man im Tiefschnee fest, aber auch nicht zu wenig, dann blieb man in dem Steilstück hängen und würde unweigerlich nach hinten kippen. Es war die mit Abstand schwierigste Passage. Bernd schlug vor, in Abständen von zwei Minuten loszufahren, damit wir uns auf dem engen Weg nicht gegenseitig behindern. Bernd und Elke sollten zuerst fahren, dann ich und das Schlusslicht bildete Thomas. Nun galt es. Bernd ließ den Skidoo langsam anfahren und einige Augenblicke später war er aus unserem Blickfeld verschwunden. Wir konnten ihn nur noch akustisch wahrnehmen und hörten, wie der Motor förmlich aufschrie, aber danach folgte das normale Motorengeräusch. Das war für uns ein gutes Zeichen, nämlich, dass er es geschafft hatte. Ich zögerte nicht lange und folgte Bernd, er kannte die Trailstrecke ja vom Vortag, ich fuhr ins Ungewisse und was ich dann erblickte, trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Jetzt bloß ruhig bleiben, schön mit dem Gaszug spielen, kurz vor dem besagten Steilstück zog ich am Gashahn und schon stand ich fast senkrecht mit dem Skidoo in der Luft. Sekunden später war ich über die Kante hinweg und ließ das Skidoo wieder mit gemäßigtem Gas weiterfahren. Puh, das war ganz schön haarig. Jetzt folgte Thomas – wir hörten den Motor aufheulen und dann war plötzlich Stille, kein Motorgeräusch war mehr zu hören. Nach einigen Minuten beschloss Bernd noch mal runter zu fahren, um nachzusehen. Ich folgte ihm zu Fuß. Dann sah ich die Bescherung, Thomas war vom Trail gedriftet und musste etwas vom Gas gehen, dabei rutschte er aber rückwärts den Berg runter in den Tiefschnee und dort hing er jetzt fest. Nun hieß es, das Skidoo abhängen und frei schaufeln. Mit vereinten Kräften, mit Schieben und Vollgas bekamen wir Thomas und seinen Tobagan dann auch nach oben. Dort gönnten wir uns dann eine kleine Ruhepause mit Tee und Räucherwürstchen.
Bernd mahnte bald zum Aufbruch – wir hatten noch ein gutes Stück vor uns. Von nun an ging es wieder öfter über große Seen und wir kamen gut voran. Am Ende eines Sees verkündete er dann, dass wir hier unser Lager für die nächsten vier Tage aufbauen sollten. Es war ein sehr schöner Platz, man hatte freie Sicht über den großen See und es gab genügend abgestorbene Bäume, die für die nächsten Tage den Yukon-Ofen und die Feuerstelle versorgen sollten. Ein wichtiger Faktor kam noch hinzu – der Lagerplatz lag windgeschützt. Wir beeilten uns den Platz herzurichten, denn wir wollten noch vor Einbruch der Dunkelheit das große Prospekter-Zelt stehen haben. Wieder musste Schnee geräumt werden. Bernd fuhr los, um abgestorbene Bäume für den Aufbau zu sägen. Elke schaufelte einen Gang vom Zeltplatz zu der Stelle, wo gekocht werden und das abendliche Feuer brennen sollte. In gut drei Stunden hatten wir den Campplatz fertig. Das Prospekter-Zelt stand und jetzt musste noch das Feuerholz für den Yukon-Ofen gespalten werden, diese Arbeit übernahm ich, dafür hatte ich dann mit der Abendessen-Vorbereitung nichts zu tun. Die Schlafplätze im Zelt wurden verteilt und da das Zelt keinen Boden hat, legten wir die Schlafstellen mit Caribou-Fellen aus. Bernd baute noch zwei Bänke und ein Tischchen, das er aus abgestorbenen Holzstämmen mit der Motorsäge zurecht sägte.
Lagerromantik am Ende des Weges
Es war schön hier an diesem ruhigen Ort, nur der leichte Wind strich durch die Tannen. Elke hatte das Abendessen zubereitet und wie ausgehungerte Löwen fielen wir über ihren Eintopf her. Als es dunkel geworden war und das Lagerfeuer knisterte, wünschte ich mir, dass man die Zeit anhalten könnte. Der sternenübersäte Nachthimmel, die tanzenden Nordlichter, die sich zu einem immer größer werdenden leuchtenden Inferno entwickelten, all das ließ eine Stimmung in uns aufkommen, die man mit Worten nicht beschreiben kann. Keiner von uns wollte der erste sein, der in dieser Nacht in den Schlafsack kriecht. Aber irgendwann gewann die Müdigkeit die Oberhand und so machte Thomas den Anfang und ich folgte Ihm kurze Zeit später ins Zelt.
Es war eine bitter kalte Nacht – am nächsten Morgen mussten wir die Zahnpasta erst in einem Topf mit warmem Wasser auftauen. Der Boden im Zelt war steinhart gefroren, obwohl der Yukon-Ofen gut gefeuert wurde. Ich verließ als Erster den Schlafsack und brachte draußen das Feuer wieder in Gang, stellte den Wassertopf auf das Gitter und wartete geduldig, bis das Wasser kochte. Wasser kochen hört sich einfach an, aber wir mussten dafür jede Menge Schnee schmelzen und hierzu wurde ein Revier abgesteckt, in dem wir den Schnee für Trinkwasser entnahmen. Wir nannten es die ‘Yellowfreie Zone’…
Kaffeeduft lag in der Luft und lockte auch die anderen ans Feuer. Wir hatten nun keinen Zeitdruck und konnten richtig gemütlich frühstücken. Ich muss sagen, das Frühstück schmeckte hier draußen viel besser als in jedem Fünf-Sterne-Restaurant. Gut, es musste erst alles aufgetaut werden, aber daran gewöhnten wir uns mit der Zeit.
Lustbetonte Nahrungssuche
Nach dem Frühstück konnte dann jeder seinem Tatendrang freien Lauf lassen. Thomas wollte ein paar Schneehühner schießen, Bernd und ich fuhren auf den See hinaus, um ein paar Forellen zu angeln. Dazu mussten wir erst Löcher ins Eis bohren, was wieder in richtige Arbeit ausartete. Sage und schreibe 120 Zentimeter mussten wir bohren, bis Wasser sprudelte. Wir bestückten die Haken mit Fischfetzten und ließen sie ins Wasserloch hinab gleiten. Gegen Abend wollten wir die fünf Wasserlöcher wieder kontrollieren. Elke hatte Ihre Langlauf-Skier dabei und unternahm eine Skiwanderung über den See. Wir alle genossen die Ruhe und Abgeschiedenheit hier in dieser wilden aber unbeschreiblich schönen weißen Einsamkeit. Am Abend kontrollierte Bernd die Angellöcher – wir hatten Glück und fingen eine kapitale Seeforelle. Die wurde natürlich am Abend gegrillt. Thomas hatte kein Glück mit seinen Schneehühnern, dafür fing Bernd am nächsten Tag noch eine Forelle, die den Speiseplan ergänzte.
Wir alle genossen wunderschöne Tage hier draußen – vor allem aber die Nächte! Jeden Abend tanzende Nordlichter – wir waren mittlerweile schon so verwöhnt, dass wir dazu übergingen zu sagen: “Nein, heute sind sie aber nicht so schön wie gestern!“ Auch wenn wir keinen Wolf zu Gesicht bekamen, sondern immer nur seine Spuren, so wussten wir aber doch, dass er gegenwärtig war. Eines Morgens hatten wir sogar ganz frische Wolfsspuren im Camp.
Die Tage verstrichen wie im Fluge und so kam dann auch der Zeitpunkt, an dem wir unser Lager abbrechen mussten. Es herrschte eine gedrückte Stimmung. Keiner wollte so recht zurück, aber es blieb uns nichts anderes übrig, denn der Rückweg beanspruchte drei Tage, wenn das Wetter mitspielte. Aber wir glaubten eigentlich schon gar nicht mehr, dass wir schlechtes Wetter bekommen könnten. Wir hatten bisher so viel Glück gehabt, warum sollte es also anders werden? Um es vorweg zu nehmen, auf der Rückfahrt hatten wir am letzten Tag keinen Sonnenschein, ansonsten zehn Tage Wetter vom Allerfeinsten.
Abschied nehmen…
Der Rückweg gestaltete sich einfacher als gedacht – wir hatten nicht mehr so viel Benzin dabei, die Vorräte waren weniger, die Tobagans leichter und wir waren mit den Skidoos so gut vertraut, dass auf ebenen Seeabschnitten auch schon mal die 50 Kilometer pro Stunde überschritten wurden. Wir genossen die herrliche Landschaft, das Wetter und überhaupt kam es uns hier draußen so vor, als seien wir die einzigen Menschen auf Erden. Dass es nicht so ist, wurde uns klar, als der erste Rauchgeruch in unsere Nasen stieg. Wir näherten uns Lutselke und verbrachten noch einen schönen Abend in Pauls Hütte, die er uns abermals zur Verfügung stellte.
Am nächsten Morgen waren wir in aller Frühe unterwegs, es wurde nur noch so viel getankt, dass der Sprit plus Reserve bis Yellowknife reichte. Wir sind dann auf dem gleichen Weg von Lutselke zurück nach Yellowknife gefahren. Natürlich haben wir nochmals in der Blachford Lake Lodge übernachtet und uns dort die erste Dusche nach über einer Woche gegönnt. Es war ein tolles Gefühl, den warmen Wasserstrahl auf der Haut zu spüren. Am Abend beim gemeinsamen Bier ließen wir die Tour noch einmal Revue passieren. Auch wenn wir es nicht bis zu den Barron Grounds geschafft hatten, so war diese Tour doch ein einmaliges Erlebnis für jeden von uns.
Am nächsten Morgen sind wir dann wieder recht früh aufgebrochen, denn wir wollten unbedingt Yellowknife erreichen und der Wetterdienst hatte Schneefall angekündigt. Nach gut sechs Stunden Ritt über knüppelharte Trails erreichten wir die Stadt am späten Nachmittag. Hier begann und endete die Skidoo-Reise für mich. Einige Tage später flog ich zurück nach Deutschland – mit der Erinnerung an viele Erlebnisse und der Erkenntnis, dass der Winter für mich die Jahreszeit geworden ist, in der Kanada mir ganz besonders gefällt. Dass ich zwei Jahre später wieder auf so einen Trip gehen würde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Und da kam dann alles ganz anders, aber das ist eine andere Geschichte.
Bedanken möchte ich mich bei allen Beteiligten, die mir diese Erlebnisse ermöglicht haben. Vor allem aber bei Bernd Pesch, seiner heutigen Frau Elke und bei Thomas Methner. Danke für eure Gastfreundschaft und für alles, was Ihr für mich organisiert habt!
Danke auch an meine Frau, die es mir immer wieder ermöglicht, aus dem Alltäglichen auszubrechen und mich ermutigt, solche Touren zu machen. Sie weiß, dass mich das unheilbare Nordlandvirus befallen hat!
Das war der dritte und letzte Teil.
Erlebt und aufgeschrieben von Sui Kings, Fotos von Bernd Pesch und Sui Kings