Mehr als 7,700 Schiff-Wracks liegen auf den Boeden der Grossen Seen in Kanada und den USA. Wenn man bedenkt, dass die sieben Weltmeere in 4,000 Jahren schaetzungsweise 3 Millionen Schiffsbrueche verzeichneten, erscheint deren Anzahl in den Grossen Seen allerdings sehr klein. Wenn man jedoch eine Zeitperiode von nur etwas mehr als 250 Jahren seit dem Anfang der Schiffahrt auf den Grossen Seen in Betracht zieht, verschiebt sich die Gefahr fuer die Schiffahrt auf diesen “Inland-Meeren” erheblich nach oben.
Die meisten der Schiffbrueche passieren den Handelsschiffen, hauptsaechlich solchen, die Erze und andere Bodenschaetze, sowie Getreide aus der Prairie in die Staedte der suedlichen Seen schafften. Nimmt man dazu noch die Tatsache, dass zahlreiche Schiffe nach ihrem Untergang in den Grossen Seen geborgen und wieder in Betrieb gestellt wurden, und dass Tausende von kleinen gesunkenen Sportschiffen ueberhaupt nicht in der Statistik erscheinen, ist die Anzahl der Kenterungen in den Grossen Seen prozentuell weit hoeher als in den Ozeanen.
Warum es so ist, ist zwar schon seit dem Anfang des “Great Lakes Shipping” bekannt, aber nur all zu oft wurden die Kapitaene und Mannschaften dafuer verantwortlich gemacht. Die legendaeren Stuerme machen diese 5 gewaltigen Gewaesser zu den gefaehrlichsten ueberhaupt. Aber erst seit etwas mehr als 15 Jahren hat man einen der der wichtigsten Faktoren bei Schiffs-Kenterungen in den Grossen Seen erkannt.
Besonders das Kentern der grossen Erz-Tranzport-Schiffe wurde auf die nicht sehr stabilen Ladungen, menschliche Fehler beim Schliessen der Lade-Luken, Auflaufen auf Felsen und andere Gruende zurueck gefuehrt. Aber es gab noch einen anderen Grund, und zwar die ploetzlichen wetterbedingten “Monster-Wellen” (rogue waves). Diese wurden noch bis 1994 als Anekdoten oder “Seemanns-Garn” angesehen.
Aber es gibt sie auch anderswo. Am 1 Januar 1995 wurde in der Nordsee zum ersten Mal eine solche Welle – die “Draupner Neujahrs-Welle” – wissenschaftlich bestaetigt und mit Laser-Geraeten auf der Draupner Oel-Plattform gemessen. Die “normalen” Wellen waehrend des Sturms waren etwa 12 Meter hoch. Ploetzlich kam eine “Monster-Welle” (freak wave), die mit 25,6 Meter Hoehe gemessen wurde – also eine Tsunami-aehnliche Welle, jedoch ohne ein Untersee-Erdbeben oder ein anderes tektonisches Ereignis.
http://science.howstuffworks.com/rogue-wave.htm/printable
(Nicht vergessen, das Video anzusehen!)
Winde von 150 kmh und mehr sind keine Seltenheit auf den Grossen Seen, genau so wenig wie gewaltige Wellen von mehr als 10 Meter Hoehe. Erzaehlungen von Ueberlebenden der Schiffs-Ungluecke berichten von Einzel-Wellen von 15 bis 17 Metern und hoeher, also genau dasselbe Phaenomen, welches auf der Draupner Plattform bewiesen wurde.
Waehrend unseres letzten Besuchs in Hawaii in 2009 waren die Wellen im Norden der Insel Oahu 50 Fuss hoch (also fast 17 Meter). Und die wurden nicht als ausserordentliche “rogue waves” eingestuft, obwohl sie nur in wenigen Jahren erscheinen. Super fuer die Spitzen-Surfer, toedlich fuer die Schiffahrt. Wir selbst machten bei einer Katamaran-Ausfahrt auf der Insel Kauai Wellen von schaetzungsweise 3 bis 5 Meter Hoehe mit, und selbst die koennen einem Angst machen!
Der “Grosse Sturm von 1913” ist ein Beispiel als die bisher immer noch groesste und toedlichste Natur-Katastrophe in der Geschichte der Grossen Seen. November ist historisch der schlimmste Monat fuer solche Stuerme. Vom 7. bis 10. November 1913 wuetete ein “Blizzard”, ein Schneesturm mit orkanartigen Winden von bis zu 150 kmh auf allen 5 der Grossen Seen. 250 Menschen starben auf dem Wasser und an Land, viele davon auf den 12 Schiffen, die auf 4 der Seen untergingen (Lake Superior = 2; Lake Michigan = 1; Lake Huron = 8; Lake Erie = 1). Nur 7 der Wracks wurden jemals gefunden. Acht Jahre vorher versenkte ein anderer November-Sturm, der “Big Blow” vom November 2005,
etwa 25 Schiffe, allerdings ohne die grossen Verluste an Menschenleben.
Das Szenario dieser “Gales of November” (November-Stuerme), sehr oft auch “November Witches” (November-Hexen) genannt, ist fast immer dasselbe. Eine Warmwetter-Front aus dem Suedwesten trifft sich ueber den Grossen Seen mit einer kalten arktischen Wetterfront aus dem Norden. Das Wasser der Seen ist im November noch relativ warm (wenn man z.B. beim Lake Superior ueberhaupt jemals von “warm” sprechen kann). Die Fronten kollidieren, jede aus einer anderen Richtung, und das Resultat ist ein “Wetter-Chaos, welches sich die meisten Menschen unmoeglich vorstellen koennen.
Gewaltige Regenguesse, enorme Schneestuerme, super-starke Winde sowie Gewitter machen die Seen zu einem Hexenkessel, denen die Schiffe und ihre Besatzungen hilflos ausgeliefert sind. Dieselben Stuerme beschraenken sich natuerlich nicht nur auf das Wasser, sondern sie bringen auch Probleme in angrenzenden Landgebieten. Gebaeude-Schaeden, Ueberschwemmungen, Elektrizitaets-Ausfaelle sowie Verkehrs-Chaos sind nur einige Beispiele.
Das Auffinden der gesunkenen Wracks in den Grossen Seen ist, um es milde zu sagen, problematisch. Etwa ein Drittel der Wracks wurden nie gefunden. Noch heute werden ab und zu Wracks entdeckt, die 100 oder mehr Jahre ungesehen auf dem Boden eines der Grossen Seen verbracht haben. Die Seen sind zum Teil sehr tief, und die Tiefwasser-Temperaturen, besonders in den noerdlicheren Gegenden, sind oft nicht hoeher als plus 10 Grad Celsius. Fuer Taucher bedeutet das, dass sie unter ihren Tauch-Anzuegen noch mindestens 5 Schichten Kleidung als Insulierung gegen die Kaelte tragen muessen.
Viele Funde von schon lange verschollenen Wracks werden niemals von den Tauchern, die sie fanden, publiziert. Die Angst, dass sie von Pluenderern ausgeraubt werden koennten fuehrte zu Gesetzen , die hohe Strafen bringen, wenn sich ein Taucher ihnen naehert. Ein Taucher, der sich z.B. der beruehmten “Edmund Fitzgerald” im Lake Superior naehert, kann mit einer Strafe von bis zu einer Million Dollars rechnen. Da die Koerper der Mannschaft niemals geborgen wurden, werden eventuelle Taucher-Besucher als potentielle Grabraeuber angesehen.
Es gibt allerdings zahlreiche Wracks, die von Tauchern besucht werden duerfen, wie z.B. im “Fathom Five National Marine Park”, dem Taucher-Paradies an der Spitze der Bruce Peninsula in Ontario. 22 Schiffswracks, an den Felsen der Halbinsel havariert, kann man hier als Taucher besuchen. Das Wasser ist glasklar und nicht ganz so kalt wie in den weiter noerlich gelegenen Gefilden.
http://www.thebrucepeninsula.com/bpnp.html
http://www.ontarioexplorer.com/Divenet/FathomFive.html
Die Kaelte des Wassers der Grossen Seen hat einen Vorteil: der Zerfall von Holz und Metall geht im kalten Suesswasser nur sehr langsam vor sich. Die Abwesenheit von Wrack-kolonisierenden Lebewesen sowie Zerfall durch Algen, Rost und andere Einwirkungen gibt es nicht in den Grossen Seen. Die Wracks sind also zum groessten Teil bestens erhalten, in fast demselben Zustand, in dem sie versanken.
Aber nicht der groesste der 5 Grossen Seen, der Lake Superior (Oberer See) fuehrt mit der Anzahl der gesunkenen Schiffe, sondern der Lake Michigan mit etwa 2,500 Wracks, gefolgt vom flachen Erie-See mit 1,900, dem Huronen-See mit 1,400, dem Ontario-See mit 1,200, und dem Oberen See mit 700 Wracks.
Auch die Kuesten von Kanada (Ost, West und Arktis) sind reichlich mit Schiffs-Wracks gesegnet. Nova Scotia fuehrt mit etwa 9,600, gefolgt von Newfoundland (7,000), Ontario (4,100), Quebec (3,800), British Columbia (3,600), New Brunswick (1,800) und Prince Edward Island (700).
In den Inland-Provinzen verzeichnet nur Manitoba einen einzigen Schiffs-Untergang mit der SS “Princess”, ein im Mississippi-Stil gebauter “Paddle-Wheeler”, der zuletzt als Frachtboot fuer die Fischerei auf dem Lake Winnipeg eingesetzt wurde. Am 24. August 1906 versank sie in einem Sturm, der den See mit 8 Meter hohen Wellen aufpeitschte. Alberta ist die einzige Provinz, in der keine Untergaenge von Schiffen bekannt sind. Selbst fuer den groessten See in Alberta, den Lake Athabasca (7,850 qkm – etwa ein Drittel dr Groesse des Lake Ontario) gibt es keine Statistik fuer irgendwelche Havarien.
http://www.northernmaritimeresearch.com/wreckdistr.html
Peter Iden
Brampton, Ontario, Kanada