Der arktische Ozean umspült die Hudson Bay mit eisigem Wasser, Robben tummeln sich im kalten Nass und wägen sich, solange das Meer noch nicht gefriert, in Sicherheit vor ihrem ärgsten Feind, dem Eisbären. Hier im Wapusk-Nationalpark in der kanadischen Provinz Manitoba ist der „weiße Bär“ noch heimisch und bringt seine Jungen in dem weltweit größten Eisbären-Geburtshöhlengebiet zur Welt. Zwischen dem Cape Churchill und der Mündung des Nelson River erstreckt sich eine faszinierende Kulturlandschaft, die allerdings schwer zugänglich ist und daher nicht mit Touristenmassen zu kämpfen hat. Besonders im Oktober und November, wenn die kleinen Eisbärenjungen erstmals die Geburtshöhlen verlassen, besteht von Touristenseite her ein großes Interesse. Zum Schutz der Tiere existieren aber strenge Vorschriften und lediglich zwei Unternehmen ist es erlaubt, Besucher durch das geschützte Areal zu führen.
Urlauber, die es in diese Region verschlägt, verbringen ihre Ferien überwiegend in der Stadt Churchill und der näheren Umgebung. Die Stadt liegt westlich des Nationalparks, hat rund 1.000 Einwohner und ist Richtung Süden von borealen Nadelwäldern, in Richtung Norden von der arktischen Tundralandschaft umsäumt. Vor allem im Herbst zieht es viele Touristen hierher. In dieser Jahreszeit wandern die Eisbären aus dem Landesinneren an die Küste und warten geduldig darauf, dass das Meer zufriert, um dann auf Robbenjagd zu gehen. Im Sommer kann man von der Küste aus große Weißwale ihre Bahnen ziehen sehen.
Der Wapusk-Nationalpark liegt rund 50 Kilometer östlich der Stadt Churchill in den Hudson James Lowlands. Er umfasst ein Gebiet von etwa 11.400 Quadratkilometern und wurde im Jahre 1996 gegründet. Mehr als die Hälfte des Areals ist von Torfmoor bedeckt, das bis zu vier Meter dick und somit ideal für das Anlegen von Wurfhöhlen geeignet ist. Unzählige Seen, Sümpfe, Moore und Flüsse prägen das außergewöhnliche Landschaftsbild, das von der Tundra bis hin zu einem beachtlichen Lärchen-, Weiden- und Fichtenbestand alles zu bieten hat. Das Klima im Wapusk-Nationalpark gleicht dem in der Arktis und macht diese Region im Winter zu einer der kältesten in Kanada. Aber auch im Sommer muss jederzeit mit zum Teil sehr unangenehmen Temperaturstürzen gerechnet werden.
In diesen für den Menschen unwirtlichen klimatischen Bedingungen fühlt sich so manches Tier äußerst wohl. Der Artenreichtum im Wapusk-Nationalpark ist wirklich beeindruckend. Das Zusammentreffen von Tundra, also der Arktis, und Taiga, der Subarktis, ist hierfür verantwortlich und macht es möglich, dass sich hier sowohl Polarbären und Polarfüchse, als auch Karibus und Schneehasen angesiedelt haben. Beeindruckend ist ebenfalls, dass im Parkgelände neben zahlreichen Eisbären auch Schwarzbären und sogar einzelne Grizzlybären und Elche gesichtet wurden. Vor der Küste der Hudson Bay leben Kolonien von Ringel- und Bartrobben, unzählige Weißwale ziehen, sobald das Eis aufbricht, entlang Cape Churchill zur Aufzucht ihrer Jungen in die nicht gar so kalten Flüsse. Der Wapusk-Nationalpark beherbergt das größte Eisbären-Geburtshöhlengebiet der Welt. Zwischen November und der Eisschmelze im Frühjahr nutzen die Eisbären das Meereseis und gehen auf Robbenjagd. In ihrer Hochzeit sind die weißen Bären mit bis zu 1.200 Tieren im Park vertreten. Nach der Paarung ziehen sie sich gezwungenermaßen, nachdem das Eis zu schmelzen beginnt, für etwa vier Monate auf das Festland zurück. Im Herbst graben die Weibchen dann ihre Geburtshöhlen, die von einer dicken Schneeschicht umhüllt sind und der jungen Familie guten Schutz bieten. Der Nachwuchs kommt im Januar zur Welt und wird noch zwei Jahre lang liebevoll von der Mutter beschützt und umsorgt, bevor er schließlich in ein selbständiges Leben entlassen wird.
Es gibt nicht viele Möglichkeiten, sich diesen faszinierenden Lebensraum aus der Nähe anzuschauen. Nur in der Zeit von Oktober bis November ist es einem Tourunternehmen gestattet, eine Lodge auf Rädern in dem Gebiet aufzustellen, die Touristen eine Unterkunft und erlebnisreiche Tage im Wapusk-Nationalpark bietet. Des Weiteren werden Schneemobil-Touren angeboten, bei denen Urlaubern ein Blick auf junge Eisbären, die gerade ihre Geburtshöhle verlassen haben, ermöglicht wird. Für den Rest des Jahres bleiben die tierischen Bewohner dieser arktischen Kulturlandschaft weitestgehend unter sich und das ist wohl auch ganz im Sinne der Natur.
Thomas Stünkel