13. Mai 2010: Es ist dunkel draußen und ein sanfter Wind wiegt die Bäume im Garten. In meinem Zimmer brennt noch Licht und ich blicke durch die großen Verandatüren in den düsteren Vorgarten und ich genieße die angebrochene Nacht. Im Haus ist es ruhig. Bis auf Cornelia scheinen alle Mitbewohner das Weite gesucht zu haben. Der Amerikaner ist schon vor Wochen ausgezogen und der versprochene Norweger existiert wahrscheinlich überhaupt nicht. Urplötzlich durchdringen zwei Stimmen die Nacht und hauchen der ausgestorbenen WG Leben ein. Eine Männer– sowie eine Frauenstimme erklimmen die hellen Holztreppen und drehen im Obergeschoss die Dusche an. Zur Lösung dieses Falles, ziehe ich Cornelia zu Rate. Unsere Antwort steht schnell fest: Es gibt ihn doch, den mysteriösen Norweger und er hat Damenbesuch. Wochenlang ist alles ruhig und nun schleppt unser Mitbewohner gleich einen One-Night-Stand ins Haus. Vorsichtshalber benutze ich Ohropax und genieße erst einmal eine ruhige Nacht.
Am folgenden Morgen kochen Conny und ich Kaffee und vernehmen erneut Schritte. Auf einmal steht eine sympathische Frau mit einem feschen Damenhaarschnitt hinter uns. „Hi, ich bin Hilde. Die Mutter von Per Kristian aus Norwegen!“, stellt sie sich freundlich vor. Beschämt grinsen Conny und ich uns an: Also doch kein One-Night-Stand! Hilde gehört zum Glück zu den Menschen, die einem auf Anhieb sympathisch sind. Sofort kommen wir ins Gespräch.
Das Wichtigste in Kürze:
1. Sie bleibt für zehn Tage.
2. Sie versteckt sich vor unserem chinesischen Vermieter und übernachtet gratis.
3. Ihr rosafarbener Koffer ist in Seattle verloren gegangen und kommt hoffentlich bald nach.
4. Sie ist sehr interessiert an einem gemeinsamen Weinabend.
Wir sind begeistert und freuen uns auch unseren Mitbewohner bald kennenzulernen. Knapp zwei Tage später–Hildes Koffer ist mittlerweile eingetroffen–findet das erste gemütliche Treffen in Per Kristians (der unbekannte Norweger) Zimmer statt. Es gibt Wein, Bier, Chips, Pizza und jede Menge Spaß. Erstaunt sind wir als wir erfahren, dass Per Kristian gar nicht abwesend war und in den vergangenen Wochen einfach nur viel gearbeitet hat und spät nach Hause kam. In Gedanken entschuldigen wir uns bei unserem Amerikaner, den wir für alle Krümel in der Küche verantwortlich gemacht hatten …
Unsere kleine Viererfreundschaft wächst, als Per Kristian uns am Freitag von einer mordsmäßig großen Spinne im Badezimmer befreien soll. Wir drei Frauen stehen um ihn herum und geben Kommandos. Die Spinne hat aber leider Reißaus genommen und sitzt hinter dem Schrank. Per Kristian muss Haarspray in die Ecken sprühen und darf dann schlafen gehen. Nur doof, dass die Spinne nach zwei Stunden wieder da ist und letztendlich Conny zur Heldin des Abends wird. (Spinnenbeseitigungstipps gibt sie auf Nachfrage gern bekannt.)
An einem weiteren Snackabend planen wir eine Radtour mit Hilde. Ihr Sohn muss leider arbeiten, sodass wir eine Tour zu dritt vorbereiten. Schon am nächsten Tag düsen wir auf einem wunderschönen Radweg („Galloping Goose Trail“) zum „Hatley-Castle“, schleichen uns–ohne Eintritt zu bezahlen–in den bunten Blumengarten und machen ein Picknick mit Rotwein. Diesen hat Hilde in einer blickdichten Papiertüte gut versteckt, denn es ist verboten an öffentlichen Plätzen Alkohol zu konsumieren. Weder unser illegales Eindringen in den Schlossgarten, noch die Weinaktion wurden je aufgedeckt. Etwas müde düsen wir die 20 Kilometer in die Innenstadt zurück und treffen uns zum Abendessen mit Per Kristian.
Die lustige gemeinsame Zeit ist viel zu schnell vergangen und wir müssen uns von Hilde verabschieden. Zum letzten gemeinsamen Frühstück bekommen wir von ihr einen Korkenzieher geschenkt. Nun müssen wir erstens nicht mehr bei den Nachbarn klingeln, können zweitens besser an die lustige Zeit mit Hilde zurückdenken und haben drittens eine Waffe gegen gefährliche (Wasch-)bären parat.