Kanadakolumne Nr. 6 – Ein One-Night-Stand mit einem Korkenzieher

von Mady Host

Kanada - Kolumne 613. Mai 2010: Es ist dun­kel drau­ßen und ein sanf­ter Wind wiegt die Bäume im Gar­ten. In mei­nem Zim­mer brennt noch Licht und ich bli­cke durch die gro­ßen Veran­da­tü­ren in den düs­te­ren Vor­gar­ten und ich genieße die ange­bro­chene Nacht. Im Haus ist es ruhig. Bis auf Cor­ne­lia schei­nen alle Mit­be­woh­ner das Weite gesucht zu haben. Der Ame­ri­ka­ner ist schon vor Wochen aus­ge­zo­gen und der ver­spro­chene Nor­we­ger exis­tiert wahr­schein­lich über­haupt nicht. Urplötz­lich durch­drin­gen zwei Stim­men die Nacht und hau­chen der aus­ge­stor­be­nen WG Leben ein. Eine Män­ner– sowie eine Frau­en­stimme erklim­men die hel­len Holz­trep­pen und dre­hen im Ober­ge­schoss die Dusche an. Zur Lösung die­ses Fal­les, ziehe ich Cor­ne­lia zu Rate. Unsere Ant­wort steht schnell fest: Es gibt ihn doch, den mys­te­riö­sen Nor­we­ger und er hat Damen­be­such. Wochen­lang ist alles ruhig und nun schleppt unser Mit­be­woh­ner gleich einen One-Night-Stand ins Haus. Vor­sichts­hal­ber benutze ich Ohro­pax und genieße erst ein­mal eine ruhige Nacht.

Am fol­gen­den Mor­gen kochen Conny und ich Kaf­fee und ver­neh­men erneut Schritte. Auf ein­mal steht eine sym­pa­thi­sche Frau mit einem feschen Damen­haar­schnitt hin­ter uns. „Hi, ich bin Hilde. Die Mut­ter von Per Kris­tian aus Nor­we­gen!“, stellt sie sich freund­lich vor. Beschämt grin­sen Conny und ich uns an: Also doch kein One-Night-Stand! Hilde gehört zum Glück zu den Men­schen, die einem auf Anhieb sym­pa­thisch sind. Sofort kom­men wir ins Gespräch.

Das Wich­tigste in Kürze:

1. Sie bleibt für zehn Tage.
2. Sie ver­steckt sich vor unse­rem chi­ne­si­schen Ver­mie­ter und über­nach­tet gra­tis.
3. Ihr rosa­far­be­ner Kof­fer ist in Seat­tle ver­lo­ren gegan­gen und kommt hof­fent­lich bald nach.
4. Sie ist sehr inter­es­siert an einem gemein­sa­men Wein­a­bend.

Wir sind begeis­tert und freuen uns auch unse­ren Mit­be­woh­ner bald ken­nen­zu­ler­nen. Knapp zwei Tage spä­ter–Hil­des Kof­fer ist mitt­ler­weile ein­ge­trof­fen–fin­det das erste gemüt­li­che Tref­fen in Per Kris­ti­ans (der unbe­kannte Nor­we­ger) Zim­mer statt. Es gibt Wein, Bier, Chips, Pizza und jede Menge Spaß. Erstaunt sind wir als wir erfah­ren, dass Per Kris­tian gar nicht abwe­send war und in den ver­gan­ge­nen Wochen ein­fach nur viel gear­bei­tet hat und spät nach Hause kam. In Gedan­ken ent­schul­di­gen wir uns bei unse­rem Ame­ri­ka­ner, den wir für alle Krü­mel in der Küche ver­ant­wort­lich gemacht hatten …

Unsere kleine Vier­er­freund­schaft wächst, als Per Kris­tian uns am Frei­tag von einer mords­mä­ßig gro­ßen Spinne im Bade­zim­mer befreien soll. Wir drei Frauen ste­hen um ihn herum und geben Kom­man­dos. Die Spinne hat aber lei­der Reiß­aus genom­men und sitzt hin­ter dem Schrank. Per Kris­tian muss Haar­spray in die Ecken sprü­hen und darf dann schla­fen gehen. Nur doof, dass die Spinne nach zwei Stun­den wie­der da ist und letzt­end­lich Conny zur Hel­din des Abends wird. (Spin­nen­be­sei­ti­gungs­tipps gibt sie auf Nach­frage gern bekannt.)

An einem wei­te­ren Snack­abend pla­nen wir eine Rad­tour mit Hilde. Ihr Sohn muss lei­der arbei­ten, sodass wir eine Tour zu dritt vor­be­rei­ten. Schon am nächs­ten Tag düsen wir auf einem wun­der­schö­nen Rad­weg („Gal­lo­ping Goose Trail“) zum „Hatley-Castle“, schlei­chen uns–ohne Ein­tritt zu bezah­len–in den bunten Blu­men­gar­ten und machen ein Pick­nick mit Rot­wein. Die­sen hat Hilde in einer blick­dich­ten Papier­tüte gut ver­steckt, denn es ist ver­bo­ten an öffent­li­chen Plät­zen Alko­hol zu kon­su­mie­ren. Weder unser ille­ga­les Ein­drin­gen in den Schloss­gar­ten, noch die Wein­ak­tion wur­den je auf­ge­deckt. Etwas müde düsen wir die 20 Kilo­me­ter in die Innen­stadt zurück und tref­fen uns zum Abend­es­sen mit Per Kris­tian.

Die lus­tige gemein­same Zeit ist viel zu schnell ver­gan­gen und wir müs­sen uns von Hilde ver­ab­schie­den. Zum letz­ten gemein­sa­men Früh­stück bekom­men wir von ihr einen Kor­ken­zie­her geschenkt. Nun müs­sen wir ers­tens nicht mehr bei den Nach­barn klin­geln, kön­nen zwei­tens bes­ser an die lus­tige Zeit mit Hilde zurück­den­ken und haben drit­tens eine Waffe gegen gefähr­li­che (Wasch-)bären parat.

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