Kanada – Indianer-Legenden – 2

von Peter Iden

Kanada - IndianerWie die Welt entstand (Iroquois, Huron).

Am Anfang war die Erde nichts als ein riesiger See, ohne Inseln, ohne Ufer. Alle Tiere lebten in und auf dem Wasser, aber es gab keine Menschen, um sie zu jagen.

Kitchi-Manito, der Grosse Geist, sandte seine Schwester auf dem Ruecken eines Eistauchers (Loon), um das Land zu bauen. Aber der Ruecken des Eistauchers war zu klein fuer sie, und sie klagte ihrem Bruder ihr Leid. Kitchi-Manito gab dem Eistaucher eine maechtige, weit hallende Stimme, sodass er die Tiere des Wassers um Hilfe anrufen konnte.

Die grosse Schildkroete (snapping turtle) war bereit, die Frau auf ihren Ruecken zu nehmen, denn sie hatte viel Platz darauf. Aber die Frau war nicht zufrieden damit; auch der Ruecken der Schildkroete war ihr zu klein. So hielten die Tiere des Wassers einen grossen Rat und beschlossen, Land fuer die Frau zu machen.

Eines nach dem anderen tauchte auf den Grund des grossen Wassers und brachten jeder etwas Erde hinauf, die sie auf den Ruecken der Schildkroete legten. Und das Land wuchs und wuchs, bis eine riesige Insel entstand, auf der Baeume und Pflanzen wachsen konnten. Noch heute traegt die grosse Schildkroete alles Land auf ihrem Ruecken.

Die Frau gebar zwei Soehne; einer war gut und sanftmuetig, der andere boese und unfreundlich. Der Gute machte den Bueffel, den Elch, das Reh, den Hund und viele andere gute, harmlose Tiere. Er machte Fluesse, die in zwei Richtungen flossen, sodass man auf einer Seite hinunter, auf der anderen hinauf paddeln konnte. Der Boese aber schuf die Woelfe, Baeren, Schlangen und zahlreiche wilde, gefaehrliche Tiere. Der Boese wollte die Menschen arbeiten sehen und machte Fluesse, die nur bergab fuehrten, und baute schlimme Stromschnellen in ihre Laeufe.

Als die Zwillinge einsahen, dass sie niemals uebereinstimmen konnten, entschlossen sie sich, bis zum Tod gegen einander zu kaempfen. Der Gute gewann mit Hilfe seiner Mutter und des Grossen Geistes. Seit jener Zeit ist das Gute auf der Welt immer maechtiger als das Boese.

Nanabojo, Schoepfer der Ojibwa (Chippewa).

Nanabojo war der maechtige Herrscher ueber die Erde. Er machte das Wetter und die Jahreszeiten, hatte die Stimme des Donners und den Atem der Stuerme. Er liess es schneien und regnen, bedeckte die Sonne mit seinen Haenden, wenn es dunkel ward. Er sprach die Sprachen aller Tiere auf der Erde und konnte sich in sie verwandeln.

Nach der grossen Flut erbaute Nanabojo die Erde von neuem, mit all ihren Kreaturen. Und er machte die Chippewa (Ojibwa), brachte ihnen das Feuer, lehrte sie jagen und kaempfen und Kanus bauen. Er zeigte ihnen, wie man Mais anbaut und Fische in Netzen faengt. Von Nanabojo lernten die Chippewa, wie man Zucker aus dem Saft der Ahornbaeume macht, und welche Pflanzen Medizin fuer sie waren.

Und er toetete die riesigen wilden Tiere, die seine geliebten Chippewa bedrohten. Noch heute findet man ihre grossen Knochen in der Erde.

Nanabojo befahl dem Biber, die Fluesse aufzudaemmen, und so entstanden die Seen. Mit seinen Fuessen formte Nanabojo die Berge, und mit seinen Haenden warf er Erde in die Seen, sodass Inseln daraus wurden.

Nanabojo lebte viele tausend Jahre, und waehrend dieser Zeit gab er den Chippewa ihre Gebraeuche, ihre Huetten, ihre Geraete. Er gab den Medizin-Maennern ihre geheimen Kraefte und lehrte sie den Gebrauch von Trommeln, Klappern und Heilspruechen. Und er gab den Chippewa den Tabak als Zeichen des Friedens, und den Hund als Gesellschafter.

Aber Nanabojo war nicht allein maechtig auf der Erde. Obwohl die guten Geister auf seiner Seite waren, gelang es dem boesen Geist endlich, Nanabojo durch eine Hinterlist zu toeten. Viele Chippewa glauben, dass er auf Michipicoten, der grossen Insel im Lake Superior, begraben wurde. Andere glauben, dass Nanabojo noch tief im Inneren der Erde lebt, und dass man seine Stimme von dort dann und wnn als grollendes Donnern hoert.

Eines Tages wird Nanabojo wieder auf die Erde zurueck kehren, um die Feinde der Chippewa zu bestrafen.

Die Erschaffung der Sechs Nationen (Tuscarora).

Henry Wadsworth Longfellow, der die populaere Version der Sechs Nationen in Europa schrieb, hatte sicherlich noch nichts von der indianischen Legende der Erschaffung der “Six Nations” gehoert oder gelesen. Es ist ein Zusammenschluss von sechs grossen Indianer-Staemmen, der noch heute besteht. Der Urprung der “Iroquois League of Nations” (dem heute offiziellen Namen der Six Nations) datiert zurueck auf die Jahre zwischen 1142 und 1450, vielleicht sogar etwas spaeter, aber jedenfalls etwa 700 Jahre bevor der Begriff “Nation” oder “Vereinigung von Nationen” jemals in Europa benutzt wurde. Wahr ist allerdings, dass zwei indianische Haeuptlinge, Hiawatha und Daganawida (der Grosse Friedenbringer) instrumental in der Formierung der Vereinigung waren.

http://www.wordwooze.net/songofhiawatha.html

In ihrer Glanzzeit gegen Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts war die League ein wertvoller Verbuendeter der Englaender gegen die Franzosen und Amerikaner. Als Belohnung erhielten sie – unter anderem – eine grosse Reservation am Grand River nahe Brantford, Ontario zugesprochen. Dort leben noch heute die Nachkommen der einstmals kriegerischen Mohawks, Oneidas, Onondagas, Cayugas, Senecas und Tuscaroras. Die folgende Tuscarora-Legende erzaehlt von der Entstehung der Sechs Nationen.

Nachdem er die Erde, die Baeume, die Pflanzen und Tiere geschaffen hatte, sah der Grosse Geist auf sein Werk herab und fand, dass noch etwas daran fehlte. Also machte er 12 Ebenbilder seinesgleichen – sechs Maenner und sechs Frauen – und setzte sie als Paare auf verschiedenen Teilen seiner Erde aus. Diese sechs Paare waren die Ahnen der Sechs Nationen.

Das erste Paar lebte an einem grossen Fluss (dem St-Lawrence River), und sie und ihre Kinder und Enkel nannten sich die Mohawks (Kanienkehaka). Das zweite Paar siedelte sich bei einem grossen Felsen an und sie gaben sich den Namen “Oneida”, (Oniotahaaka, das heisst Menschen der grossen Steine). Das dritte Paar setzte der Grosse Geist auf einem Berg ab, und sie nannten sich nach dem Berg “Onondaga ” (Onondagega – Menschen der Huegel).

Dem vierten Paar gab der Grosse Geist das Ufer eines langen Sees als Heimat. Ihr Name ist “Cayuga” (Guyohkohnyo = Menschen des grossen Sumpfes). Das Suedende eines anderen grossen Sees wurde dem fuenften Paar zugeteilt. Sie nannten sich “Seneca”, (Onondowaga, ebenfalls “Menschen des grossen Huegels”). Paar Nummer sechs brachte der Grosse Geist weit in den Sueden (North Carolina), wo ein Fluss in das Grosse Wasser muendet. Dieses Paar wurde zur gossen Familie der Tuscarora (Katenuaka = Menschen der ertrunkenen Sumpfbaeume), die viele Jahre spaeter in die Nordstaaten und nach Kanada wanderten, um dort von den Five Nations als sechste Nation der Irokesen-Foederation aufgenommen zu werden.

Am Anfang sprachen all Paare dieselbe Sprache. Voneinander geteilt jedoch veraenderte sich ihre Sprache, sodass sie sechs Dialekte annahmen. Untereinander jedoch konnten sie sich immer noch verstehen. Ihre Familien vergroesserten sich, und so lebten sie bald weit verbreitet im Land. Und da alle nur den Namen ihrer sechs Stammeseltern trugen, nahmen sie sich die Namen vieler Tiere dazu an, damit sie sich besser auseinander kennen konnten. So entstanden die Totem-Namen der Baeren, der Woelfe, der Otter, des Bibers und viele andere. Und obwohl sie nicht immer untereinander ueberein stimmten, kaempften sie niemals miteinander.

Peter Iden.
Brampton, Ontario, Kanada.

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2 Kommentare

First Nations in Ostkanada – …alt werden kann ich später. 29. August 2019 - 16:14

[…] Die Geschichte der Entstehung der Erde (Schildkröten-Legende) […]

Antworten
Peter 18. Oktober 2011 - 15:51

sehr spannender und informativer Artikel über die Ureinwohner Kanadas, danke schon mal hierfür. Werden in unserem nächsten Blogbeitrag darauf verweisen.

Beste Grüße
Peter

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