‚This village is Irish but the others are all French‘ erklärt uns der nette ältere Herr, der soeben aus einem auffällig grün-weiß gestrichenen Haus mit großflächig aufgemalter irischer Nationalflagge zu uns gelaufen kam. Wir schauten uns fragend an. Seltsam, eigentlich hatten wir geglaubt in Kanada unterwegs zu sein. Waren wir auch, aber eben in einem besonderen Teil davon, in der Provinz Nova Scotia, deren bewegte Geschichte der letzten 400 Jahre für so manche heute noch erlebbare Skurrilität verantwortlich zeichnet. Einer Geschichte, die aber auch eine Fahrt durch diesen vom Tourismus noch erstaunlich wenig entdeckten Teil Kanadas so interessant und abwechslungsreich sein lässt.
Wie so oft auf dieser Ferientour hatten wir an einem der zahllosen Aussichtspunkte entlang der malerischen Küstenstraße einen kurzen Fotostopp eingelegt. Das alleine genügt den immerzu freundlichen und unglaublich hilfsbereiten Leuten hier schon um herbei zu eilen in der Annahme der Fremde könnte irgendeine Form von Auskunft oder Hilfe benötigen. Natürlich liebt man in der einsamen Gegend auch den Smalltalk mit Fremden ganz allgemein aber insbesondere dann, wenn sie mit so einem auffällig seltsamen Fahrzeug unterwegs sind wie wir. Einen Citroen 2CV haben die allermeisten Kanadier in ihrem Leben noch nie zuvor gesehen. Kanadier die auf dem Land leben – und zwar beiderlei Geschlechts – lieben alles was einen Motor hat, sind zudem technisch sehr interessiert und so entwickeln sich häufig angeregte Unterhaltungen die vor dem Fahrzeug beginnen, unter der geöffneten Motorhaube weiter gehen und die gar nicht selten mit einer Einladung enden.
Seit gut einer Woche sind wir mit unserer knallroten Ente unterwegs auf der Küstenstraße, die rund um die Provinz Nova Scotia, einer Halbinsel ganz im Südosten Kanadas, verläuft. Halbinsel ist hier eigentlich ein irreführendes Wort, aber die deutsche Sprache hat nichts Besseres zu bieten. Das französische ‚Pres d`Ille‘ also ‚Fast-Insel‘ kommt dem schon sehr viel näher, denn rund 7000 Kilometern Küstenlinie steht eine Landbrücke von gerade mal 25 Kilometern Breite gegenüber. Dementsprechend ist hier alles beeinflusst und geprägt von der Nähe des Meers. Fast alle Ansiedlungen, meist einzelne Höfe, kleine Ansammlungen von Fischerhütten oder urige Fischerdörfer mit skandinavisch anmutendem Flair, liegen an der Küste und immer dort, wo man Schutz für die Boote fand mit denen man über Jahrhunderte seinen Lebensunterhalt bestritt. Bis ins 18. Jahrhundert hinein gab es nur wenige Karrenwege, heute verbindet ein recht gut ausgebautes Straßennetz die bunten, gepflegten Fischerörtchen entlang der Küste. Rund 3500 Kilometer lang windet sich die Küstenstraße, oft mit Sicht auf das Meer entlang der schroffen Felsküste mit ihren eingebetteten, sandigen Buchten, rund um die Provinz. Nachdem wir schon so manche Küstenstraße dieser Welt befahren haben, können wir mit Überzeugung sagen, dass es diese hier landschaftlich selbst mit den berühmten Küstenstraßen Australiens, Neuseelands oder dem US-amerikanischen Highway No.1 entlang der Pazifikküste, ganz locker aufnehmen kann, sie aber alle in ihrer schieren Länge problemlos überbietet. Nur – die Küstenstraße Nova Scotias kennt niemand. Warum nur? Wer es eilig hat ist hier völlig fehl am Platz. Meist geschwindigkeitsbeschränkt auf 60, höchstens mal 80 km/h windet sich die oft kleine Straße in unzähligen Kurven und Kehren entlang der rauen und wild zerklüfteten Atlantikküste. Tiefe Buchten zwingen sie immer wieder weit ins Landesinnere. Manchmal kann man vormittags schon sehen wo man nachmittags vielleicht sein wird.
Unsere bildhübsche, knallrote Ente Baujahr 1984 mit gerade einmal gut 50.000 Kilometern auf dem Tacho, erwies sich als das perfekte Reisefahrzeug dafür. Mit offenem Dach gleitet man in aller Ruhe dahin, genießt die frische, im Sommer erstaunlich warme Meeresluft und bewundert die herbe, wilde Natur dieses dünn besiedelten Landstrichs. Dank der traditionell komfortablen französischen Federung nimmt man die vielen Frostaufbrüche und Schlaglöcher, die dem harten kanadischen Winter geschuldet sind, kaum war. Niemals fühlt man sich mit den nur 29 PS untermotorisiert, trotz Urlaubsgepäck und mitreisendem Bordhund Betti. Bei 6,5 Litern Durchschnittsverbrauch und 85 Eurocent für Superbenzin lacht das Schwabenherz. Der geringe Verkehr erfordert kaum Aufmerksamkeit. Selbst während der Sommermonate kann es manchmal 10 Minuten dauern, bis einem das nächste Fahrzeug entgegen kommt. Niemand rast, niemand drängelt, überholt wird selten und nur dann, wenn bis zum Horizont kein entgegenkommendes Fahrzeug zu sehen ist. Geschwindigkeitsbeschränkungen werden nicht als grobe Empfehlungen oder Einschränkung der persönlichen Freiheit betrachtet sondern ernst genommen. Die Verkehrsdisziplin der Kanadier ist im Vergleich zu unserer deutschen wirklich vorbildlich.
Fünf Wochen und gut 4000 Kilometer später waren wieder zurück an unserem einsam gelegenen Blockhaus im Nordosten der Hauptinsel. Die Ente hatte die herrliche Spätsommertour ohne das geringste Problem hinter sich gebracht. Wir waren um zahllose Eindrücke, viele neue Bekanntschaften und um die Erkenntnis reicher, dass wir uns hier ohne Zweifel nicht nur das richtige Fleckchen Erde ausgesucht, sondern auch das perfekte Fahrzeug mitgebracht haben, um die nächsten paar Jahre mal außerhalb des hektischen Deutschland mit seinen ewig gejagten, stressgeplagten Menschen, zu denen auch wir zuvor gehörten, zu verbringen.
Zwei Monate zuvor in der kanadischen Zulassungsstelle:
‚Autos mit zwei Zylindern gibt es nicht‘ erklärt uns der freundliche junge Mann bei der Zulassungsstelle, nachdem er zunächst minutenlang sein Computerprogramm befragt und sich danach hilfesuchend an seine Chefin und auf deren Rat hin telefonisch an die zentrale Zulassungsstelle der Provinz gewandt hatte. „Drei Zylinder sind das wenigste was mir das Programm bietet“ erklärt er mir nach wie vor geduldig und ohne in der geringsten Weise genervt zu wirken. „Sind Sie ganz sicher, dass das Fahrzeug nur zwei Zylinder hat?“ „absolut sicher“ erwidere ich offensichtlich überzeugend genug um ihn jetzt zu einer Internetrecherche zu veranlassen. Als er auf das erste Bild stößt bricht er in ungläubiges Lachen aus, was seine Arbeitskolleginnen veranlasst den Grund seiner plötzlichen Heiterkeit zu erfahren. Fünf ungläubig staunende Mienen betrachten nun seinen Bildschirm. So ein Auto haben wir hier noch nicht gehabt, erklärt mir die aufgrund des außergewöhnlichen Falles inzwischen hinzu gekommene Chefin. Sie vervollständigt die ‚spontane Betriebsversammlung‘ der Zulassungsstelle, die sich um den Bildschirm versammelt hat. Das Auto sieht ja soooo goldig aus. Damit müssen Sie hier unbedingt einmal vorbei kommen, das würden wir zu gerne mal aus der Nähe sehen. Sie hatte sich nun des Falles angenommen und bat uns erst mal ‚Shoppen‘ zu gehen und in einer Stunde wieder zu kommen. Bis dahin hätte sie bestimmt eine Lösung für das Problem gefunden. Und so geschah es. Eine Stunde später erhielten wir die vorläufige Zulassung mit der wir zum ‚TÜV‘ von Nova Scotia, der hier MVI heißt, fahren konnten. Aber das ist dann wieder eine andere, erneut längere aber mindestens ebenso witzige Geschichte, wie man sie hier, wenn man mit einem 2 CV unterwegs ist, beinahe täglich erleben kann.
Thomas Wöhrstein