Ist das Wasser im Emerald Lake tatsächlich grün?

von Peter Iden

Wasser ist farblos. Wir lernten das bereits in unseren jüngsten Jahren als Schulkinder. Aber Kanadier und Besucher aus anderen Ländern glauben das scheinbar nicht. Zwar lernen Kanadier dasselbe über ihre Gewässer, aber auch sie wissen es natürlich besser:  Kanadische  Seen sind  blau oder grau, aber  besonders in den Bergen des Westens sind sie grün! Wer das bezweifelt, wird sofort an den berühmtesten der “grünen Seen” in Kanada  erinnert: den Emerald Lake im Yoho National Park in British Columbia. Oder den Lake Louise in Alberta, und viele andere. Die Liste der grünen Seen in Kanada ist endlos.

Emerald Lake wird  In der Touristen–Literatur  als “tiefgrün” oder “smaragd-grün” verkauft, und oft als “der grünste See Kanada’s” beschrieben. Er ist ohne Zweifel  der populärste aller grünen Seen in Kanada. Aber seine  grüne Färbung ist eine optische Täuschung. Diese Tatsache wird hoffentlich nicht die Illusionen der Besucher und die Magik der Farben in den kanadischen Seen zerstören.

Denn genau gesehen  gibt es  weder grünes noch blaues Wasser. Auch das Blau des Himmels ist kein Grund fuer eine blaue Wasserfarbe. Auf den ersten Blick gibt der Emerald Lake den Anschein, dass seine grüne Farbe eine Reflektion der umliegenden, tiefgrün bewachsenen  Steilhänge ist. Die Tatsache jedoch liegt im Wasser selbst.

Wie viele Seen der “Rockies” in British Columbia und Alberta, so wird auch der Emerald Lake durch Gletscherwasser gespeist. Während der Gletscherschmelze im Sommer fliessen grosse Mengen von Gletscherwasser in die Berg-Seen, die diverse geologische Mitbringsel enthalten, darunter hauptsächlich “Steinmehl” (rock flour).

Steinmehl ist die Bezeichnung der kleinsten Kerngroessenfraktion im Erdreich, ein Produkt der andauernden Verwitterung des vulkanischen Gesteins unserer Erde. Es gibt davon unzaehlige Variationen, je nach den Bedingungen unter denen das “Mehl” entstanden ist, und den urspruenglich im Vulkan-Gestein enthaltenen Elementen.

Steinmehl  ist  ein sehr feines Gletscher-Material, bestehend aus zermahlenem Gestein, welches laengere Zeit im Wasser schweben bleibt. Es verzerrt die Wellenlaengen des Licht-Spektrums und reflektiert vorwiegend grün und blau, während die anderen Farben absorbiert werden. Je mehr Steinmehl im Wasser schwebt, um so intensiver ist das reflektierte Grün.

Steinmehl ist auch bei Gaertnern als Zusatz von Spurenelementen zur Bodenverbesserung und sogar als Schutz gegen unerwünschte Insekten-Schaedlinge bekannt, aber das Mineral als solches ist nicht farbig.

Motorboote sind auf dem Emerald Lake verboten, nicht allein weil sie den natuerlichen Zyklus des Steinmehls unterbrechen, sondern auch weil sie sich aeusserst störend auf die Umwelt auswirken.

Der grosse Enthusiasmus der Touristen  und die besinnliche Stimmung des Sees  ermutigt viele von ihnen, sich am Eingang ein Ruderboot, Kanu oder Paddelboot zu mieten, um zumindest einmal in ihrem Leben die Friedlichkeit des “grünen” Wassers zu erkunden. Es gibt keinen besseren Weg, die Magik dieses oder anderer Seen in Kanada zu erleben.

Die Entdeckung des Emerald lake ist etwas nebelhaft belegt, ist aber scheinbar Tom Wilson zuzuschreiben.  Als ehemaliges Mitglied der berühmten North West Mounted Police (Vorgänger der Royal Canadian Mounted Police), arbeitete er nach seiner RCMP-Dienstzeit fuer die Canadian Pacific Railway. Sein Job als Landvermesser brachte ihn in die entlegensten Gegenden der Rocky Mountains. In 1882 hoerte er das Donnern von Lawinen in einem Tal neben dem, in dem er gerade Vermessungen machte. Auf sein Drängen führte ihn ein Indianer  auf einer Klettertour in das nächste Tal, wo Tom Wilson der erste Weisse war, der jemals den Lake Louise sah. Wegen dessen smaragd-grüner Farbe  nannte er den See “Emerald Lake”.

Einige Jahre später fand Wilson auch den abgelegenen heutigen Emerald Lake und gab ihm denselben Namen wie dem ersten Emerald Lake, dem heutigen Lake Louise, benannt nach Princessin Louise Caroline Alberta, der vierten Tochter der Königin Victoria.

Wilson war am 7. November 1885 dabei, als die letzte Spike fuer die Transcontinental Railroad der Canadian Pacific Railway in Craigellachie eingeschlagen wurde. British Columbia hatte seinen Beitritt zu der kanadischen Föderation der Provinzen abhängig  von der  Vollendung  der kanadischen Transkontinental-Bahnstrecke gemacht, um damit die Verbindung der Provinz mit Zentral- Kanada zu haben.

Wilson wurde zu einem erstklassigen “Mountain Guide” (Bergfuehrer) und eröffnete einen der ersten  “Outfitter Stores” (Ausrüstungs-Laeden)  in den Rockies. Seine Assistenten Bill Peyto und Jimmy Simpson erreichten ebenfalls fast legendären Status als Bergführer und Entdecker.

Durch seine Hoehenlage ist der Emerald Lake von November bis teilweise in den Juni mit Eis bedeckt.

Wer den Emerald Lake auf der Hoehe seiner Smaragd-Phase im Juli besucht, erlebt das volle Grün des Sees. Nachdem die Eisschmelze im Hochsommer beendet ist, endet auch die starke gruene  Färbung. Der Steinstaub sinkt auf den Boden des Sees, und die grüne Illusion verschwindet, bis das nächste Jahr wieder für einen neuen Nachschub des magischen Faerbemittels Steinmehl sorgt.

 

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