Was ist eigentlich die “richtige” Poutine?

von Peter Iden

In meinem Kanada Spezialist Beitrag am 22. Februar (Unterwegs in Nova Scotia, Juni 2002) erwähnte ich zum ersten Mal das Gericht „Poutine“, ein Begriff der inzwischen astronomische Ausmaße in ganz Kanada erreicht hat.
Wir hatten die bei Caraquet im Nordosten der Provinz gelegene “Village Historique Acadien” besucht und machten einen Lunch Stop im General Store neben der Bäckerei. Madam Deon erklärte uns, dass das “Ancien Village” Projekt überhaupt von den Bewohnern der Gegend unerwünscht war und ihnen von der Regierung aufgezwungen wurde. Sie hätten lieber ein Krankenhaus gehabt. Wir holten uns nebenan in der Deon-Bäckerei eine Portion „Acadian Fast Food“, Kartoffelstücke mit einer delikaten Gewürzsauce.
Madame Deon belehrte uns auch darüber, was eigentlich die richtige “Poutine Acadien” ist. Es ist alles andere als das heutzutage inkorrekt als “Poutine” bei MacDonalds und anderen verkaufte „Fast Food“, die daraus ein absolut schreckliches und unappetitliches “Gericht” machten, ein scheußliches Gemisch von wabbeligen French Fries mit Käsebruch und einer unbeschreiblichen versalzenen Soße.


Das ist natürlich meine Meinung, denn als mit Kartoffel-Diät aufgewachsener Deutscher bin ich auch ein Gegner von normalen kanadischen “Potato Chips”.
Madame Deon’s Original-Rezept besteht aus Kartoffelmehl-Klößen mit geriebenen Kartoffeln, kombiniert mit gekochtem Kartoffel-Püree, welche mit gesalzenem Schweinefleisch gefüllt (gestopft) und dann in Brühe gekocht werden, manchmal auch nur in Wasser. Serviert werden sie manchmal mit einer Soße oder Melasse. Und so war und ist es immer noch in Nova Scotia, New Brunswick und Prince Edward Island bei der akadischen Bevölkerung.
Die einzige Verwandtschaft zwischen der Fast-Food Poutine und der akadischen Poutine ist, dass beide Kartoffeln als Basis benutzen.
Trotzdem wird das heutige horrende Gemisch von vielen Touristen-Schreibern als „typisch kanadisch“ empfohlen. Selbst viele nicht-akadische Kanadier glauben tatsächlich, dass „Fast-Food Poutine“ einen akadischen Ursprung hat. Die ganz extremen Medien wollen sogar „Poutine“ als kanadisches National-Gericht proklamiert haben!
Allerdings ist es kein Geheimnis, dass Kanadier ihre „French Fries“ (auf gut Deutsch: „Pommes Frites“) absolut lieben. Es gibt kaum eine Mahlzeit in einem kanadischen Haushalt, bei der keine French Fries serviert werden. Die Standard-Frage in kanadischen Restaurants ist: “do you want your potatoes French-fried, pan-fried or mashed?” French Fries, wie auch Onion Rings, werden im Fettbad gekocht.
Glücklicherweise können die Französisch-Kanadier die heutige Poutine nicht auf die „Anglo-Subversion“ ihrer Sprache und Kultur abschieben. Es waren sie selbst, welche die Poutine in den 1950’er Jahren „neu erfanden“. Genau wo das zuerst stattfand und wer den Kredit dafür beanspruchen darf, ist noch heute umstritten. Restaurants in Drummondville, Nicolet, Princeville, Sainte-Hyacinthe und Warwick geben sich selbst den Ruhm für die Erfindung.
Die “Original-Poutine” ist zweifellos ein akadisches Gericht. Die Mahlzeiten der ersten Siedler in Kanada, durchaus Bauern aus Frankreich, bestanden aus dem, was ihre Felder zuerst hergaben. Sie bauten Weizen und Kartoffeln an (ein aus Bolivien und Peru nach Europa gebrachtes indianisches Nahrungsmittel). Dazu pflanzten sie einige Wurzelgemüse, sowie damals für sie eine neue, von den südamerikanischen Indianern übernommene Frucht, den Mais (maïs).
Kartoffeln jedoch wurden vorwiegend angebaut. Viele der akadischen Gerichte haben Kartoffeln als Hauptbasis.
Akadier salzten das Fleisch ihrer aus Frankreich mitgebrachten Schweine ein. Sie salzten ebenfalls die von ihnen angepflanzten Gewürzpflanzen sowie die aus dem Atlantik gefischten Stockfische (Cod) und Heringe und trockneten diese für den Gebrauch im Winter. Salz war – und ist auch noch heute – als bestes Mittel für die Konservierung von Esswaren bekannt.
Die kanadischen Schriftsteller Marielle Cormier-Boudreau und Melvin Gallant bereisten bis 1951 die drei akadischen Provinzen sowie auch die Insel Grand Manan für die Recherche ihres Buches A Taste of Acadie (1951). Sie entdeckten 18 verschiedene Rezept-Varianten für Poutine, fast alle mit einer Kartoffel-Basis.
Um auf Madame Deon’s Original-Poutine zurückzukommen: meine totale Überraschung über ihr Rezept war, dass es identisch war mit dem, was uns meine Großmutter oft vorsetzte: gefüllte Hamburger Kartoffelklöße.
Rohe, geriebene Kartoffeln sind absolute Voraussetzung für diese Klöße. Das Schweinefleisch kann durch andere Fleischprodukte ersetzt wurden, so wie es in Deutschland und fast allen ost- und zentral-europäischen Ländern gemacht wird. Die regionalen sowie nationalen europäischen Varianten mit Mehl, Kartoffeln oder Brot als Basis sind unzählig (um nur einige wenige zu nennen: Leberknödel, Semmel-Knödel, Zwetschgenknödel usw.). Die über Klöße, Knödel, Dumplings usw. geschriebenen Artikel und Bücher sind so zahlreich wie die Rezepte.
Die Kartoffel-Klöße meiner Großmutter waren handgeformt wie Schneebälle (wie auch die akadischen “Poutine Rapees”), mit Schweinefleisch gefüllt und mussten, soweit ich erinnere, sehr lange auf unserem Holzofen in Salzwasser kochen. Die dazu servierten Gemüse kamen aus unserem kleinen „Schrebergarten“, wo der Hauptanbau aus Kartoffeln bestand. Wir lebten dort 10 Jahre lang nach der Ausbombung in 1943, und ich verbrachte dort einen Teil meiner Kindheit und Jugend.
Um ganz ehrlich zu sein, waren Kartoffel-Klöße nicht eines meiner beliebtesten Gerichte. Die Ehre war einer anderen Art von Klößen reserviert, den kleineren „Königsberger Klopsen“ aus Hackfleisch mit Kapern-Soße.

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1 Kommentar

Tim 17. September 2022 - 20:24

Auch sehr schön

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