“Hau ab nach Tuktoyaktuk”

von Peter Iden

Es gibt kaum einen Kanadier, der nicht schon einmal den Spruch “why don’t you go to Tuktoyaktuk?!” gehört oder selbst benutzt hat. Als ich allerdings vor mehr als 60 Jahren nach Kanada kam, lautete dieser Spruch noch etwas anders: “why don’t you go to Timbuctoo?”
Weder ein Kanadier, welcher diesen Spruch benutzt, noch der damit Addressierte hat jedoch eine Ahnung davon, wo entweder Timbuctoo oder Tuktoyaktuk auf unserem Globus situiert sind. Der Angesprochene wird nur an einen leeren, unbekannten Platz verwünscht, weil er etwas gesagt oder getan hat, mit dem der Sprecher nicht übereinstimmt. Wie in dem alten deutschen Soldatenlied der Weimarer Republik “Voran und drauf und dran” sehr viel klarer ausgedrückt wird: “Hau ab…!”


Genau das war der Sinn der beiden kanadischen Sprueche. Timbuktu, Timbouctou, Thambet, Tenbuch und andere sind seit etwa 1375 die Namen des Handelspostens im heutigen Mali im Westschenkel Afrika’s, der eine langzeitige Geschichte im Handel zwischen Europa und Afrika hinter sich hat. Salz und Gold waren zwei der Güter, die mit den Kamelkarawanen über die Sahara nach Timbuktu kamen und dort für Güter aus den europäischen Ländern eingetauscht wurden. Europäer die keine Händler waren sahen in diesem mythischen Ort später das “El Dorado” des Ostens verkörpert. Der Glanz von Timbuktu erlosch allerdings schnell, als Gold und Silber im leichter erreichbaren Nordamerika gefunden worden.
Timbuktu ist heutzutage nur wenigen Europäern bekannt. So war auch Tuktoyaktuk bis vor wenigen Monaten selbst für Kanadier praktisch total unbekannt. Für sie war es eben ein Platz wie Timbuktu, ein unbekanntes Nichts, irgendwo im Norden ihres Landes, welches nur wenige Eingeweihte dem Namen nach kannten, aber für die es ein ebenso mysteriöser und exotischer weit entfernter Ort war.
Irgendwann jedoch sagte sich ein Kanadier: “Warum sollen wir jemanden nach Timbuktu schicken, wenn wir doch selbst irgendwo in unserem Norden einen genau so unbekannten Ort haben? Und irgendwann gebrauchte er dann den Spruch mit Tuktoyaktuk anstatt Timbuctoo an einem seiner Bekannten, dessen Kommentar er bezweifelte.
Der Spruch “go to Tuktoyaktuk”, wie man hier sagt, “caught on” (fand Anklang), und wird seitdem nicht selten von Kanadiern benutzt. Aber erst seit dem letzten Jahr wissen viele von ihnen, was und wo Tuktoyaktuk eigentlich ist, denn im November 2017 wurde nach drei Jahren Bauzeit und mit 300 Millionen Dollar Kosten die erste dauerhafte Sommer- und Winter-Straße nach “Tuk” eröffnet.
Die Möglichkeit der Strasse von Inuvik bis Tuktoyaktuk an der Bering-See wird bereits seit den 1960’er Jahren diskutiert, und nach energischem “Lobbying” der First Nations, der Einwohner selbst sowie (seit 1998) des Northwest Territory machte die kanadische Regierung endlich in 2009 zweihundert Millionen Dollar für den Bau der Straße flüssig. Die neue Straße wurde offiziell am 15. November 2017 eröffnet. Sie durchläuft die rollende Landschaft der Tundra mit ihren Seen und kleinen Strömen, mit zahlreichen Brücken. Besucher werden drei topografische und geophysische Gebiete kennen lernen, von der Baumgrenze zur baumlosen Landschaft und bis zum arktischen Plateau.
Tuktoyaktuk war ehemals als Port Brabant bekannt und wurde in 1950 als erster Ort in Kanada auf seinen traditionellen Inuit-Namen Tuktuuyaqtuumukkabsi (im Dialekt der westkanadischen Siglit-Invialuit) umbenannt. Einst war es ein bevorzugter Platz für den Fang der Barren Ground Caribous während ihrer Wanderungen zur Futtersuche, die sich über Hunderte von Kilometern erstreckt. Die Caribous (Rangifer tarandus groenlandicus) sind eine Untergruppe der arktischen Rentiere, mit verschiedenen Herden in den Territorien. Caribou-Herden auf ihrer Suche nach Futter durchstreifen viele Hundert Kilometer zwischen ihren Sommer- und Winter-Weidegründen.
Der Erfolg der Inuvik-Tuk Straße hat nun auch andere Stimmen ermutigt, die kanadische Regierung davon zu überzeugen, dass eine ganzjährige Straße von Yellowknife in das Innere des Northwest Territoriums notwendig ist, um die dort abgelagerten Mineralbestände erreichbar zu machen. Für die Schaffung von Arbeitsplätzen wäre das dort sicher ein großes Plus, aber die enorm nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt sind ja bereits durch die Oil Sands in Nord-Alberta bewiesen worden.

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