Skurriles aus Kanada Nr. 61

von Bernadette Calonego
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Von solchen kanadischen Destinationen können Deutsche derzeit nur träumen.

Text und Foto: Bernadette Calonego

Gebrochene Herzen

Auf Facebook lese ich regelmäßig die Kommentare und Einträge von Deutschen, deren Kanadareisen wegen Covid-19 annulliert wurden. Sie sind erschütternd. Und –  damit keine Missverständnisse entstehen – ich meine das nicht ironisch, sondern mitfühlend. Aus den Zeilen sprechen eine Liebe und ein Schmerz, die ganz tief gehen. Ich weiß nicht, ob es etwas Vergleichbares gibt wie die Sehnsucht deutscher Kanada-Fans. In Kanada existiert dieses Phänomen mit Sicherheit nicht.

Es gibt kein fremdes Land und keine Destination, die diese rohen, starken Emotionen in Kanadiern  hervorruft. Und es ist schon gar nicht Deutschland, das die Kanadier als Sehnsuchtsland beschäftigen würde: Nur wenige Kanadier (außer deutschen Immigranten) sind je dorthin gereist. Deutschland ist für die meisten Kanadier eine ziemlich unbekannte Größe. Wenn ich kanadischen Freunden die Bedeutung Kanadas in der Psyche vieler Deutscher zu erklären versuche, stoße ich auf höfliches Unverständnis. Viele Kanadier sind sich zwar bewusst, dass ihr Land den Deutschen gefällt. Aber welche intensiven Gefühle Kanada in deutschen Besuchern (und auch in Deutschen, die nie hier waren) auslöst, können sie nicht nachvollziehen.

Woher kommt diese überwältigende Liebe von so vielen Deutschen zu Kanada? Theoretisch (und auch praktisch) weiß ich, dass die Weite des Landes, das Gefühl von Freiheit und die weitgehend unberührte Natur eine wichtige Rolle spielen. Nicht zu vergessen die meist freundlichen, hilfsbereiten, gelassenen Menschen.  Aber die schwer zu beschreibenden Emotionen von Deutschen für Kanada gehen darüber hinaus.

Könnt ihr mir dieses Phänomen erklären?

 

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5 Kommentare

Hartmut Gobrecht 22. Juni 2022 - 18:33

Hallo Bernadette
Erst jetzt habe ich diesen Beitrag gelesen. Doch ich denke, Deine Frage ist zeitlos und fraglos auch interessant sie sich selbst zu beantworten. Weiß man doch nicht immer, warum einem etwas gefällt oder auch nicht. Ich bin deshalb in mich gegangen und habe versucht sie mir zu beantworten. Habe teil daran:
Bis vor der Coronazeit, waren meine Frau und ich (70 J) regelmäßig einmal im Jahr in Alaska oder später in Kanada. Und ja, dort finden sich meine Sehnsuchtsorte. Schon von Kindesbeinen an träumte ich, ohne viel davon zu wissen, von Alaska. Warum das so ist? Bleibt trotz längerem Grübeln unklar:
Evolutionsbiologisch sind wir von der Erkenntnis geprägt, dass wir alleine nicht überlebensfähig sind. Was uns zum Herdenwesen machte, das Nähe sucht. Eine Nähe, die Sorge, Sicherheit und Hilfe im Fall der Fälle bietet. Doch wie nah ist Nähe?
Die Enge unserer Städte lässt in vielen von uns das japanische U-Bahnsyndrom heranwachsen. Dicht gedrängt, sich gegenseitig auf den Füßen stehend, tut jeder so, als gäbe es den anderen nicht. Das Gegenüber wird unsichtbar, wird ignoriert. In dieser Weise seine Intimsphäre zu schützen bedingt jedoch, dass man ungewollt seinen Mitmenschen auch Achtung und Respekt entzieht. Signalisieren wir ihm damit doch ebenfalls: Du bist mir egal. Wird nun eine solche Nichtbeachtung gar als Verachtung empfunden, weckt dies in uns äußerst ungute Gefühle. Dennoch, dieses Miteinander erscheint uns normal, denn es umgibt uns außerhalb unseres Familien- und Freundeskreises konstant. Man darf also annehmen, in der alten Welt ist die räumliche Nähe zwar groß, doch es fehlt uns an emotionaler Nähe.
Eine andere Merkwürdigkeit ist die Tatsache, dass uns das Unwirtlichste, das Lebensfeindlichste am meisten fasziniert und mit magischen Kräften anzieht. Je weiter die Leere, je karger das Land, je mehr wollen wir davon sehen und staunen, verfallen in Gefühle dort sein wollen, um es zu erleben. Was völlig irrational ist, denn keiner von uns könnte dort überleben.
Ganz offenbar sind wir Wesen, die immer erstreben, was sie nicht haben. Gibt es vielleicht diese Sehnsucht nach Einsamkeit und Mangel, als neuzeitlichen Kontrapunkt zu Enge und Überfluss? Wir neigen jedenfalls dazu, immer erst dann etwas wertzuschätzen, wenn es verloren gegangen ist.
Für mich persönlich, wie für viele andere Nachkriegskinder auch, waren die USA das Land der Weite, der Ursprünglichkeit und Rechtschaffenen. Winnetou, Old Shatterhand, John Wayne und viele andere Filmgrößen etablierten einen Mythos, der uns zudem vermittelte, dass es sich um das Land der unbegrenzten Möglichkeiten handelt, in dem jeder alles erreichen kann.
Außerdem begegneten, zumindest mir in meiner Jugend, nur freundliche GIs. So war z.B. einer meiner liebsten Freunde ein Staff Sergeant, der die nahe gelegene Armee Rifle Range managte. Er war ein stolzer, gutmütiger, texanischer Soldat mit rumänischen Wurzeln und zu 90% der Quell meines englischen Sprachschatzes. Nach dessen Versetzung nach Vietnam, stieg der Mann in den Bergen (Dan Haggerty) mit seinem großen Grizzly, schnell zum zivilen Repräsentanten einer freien, unreglementierten Gesellschaft auf, wo jeder permanent umgeben war von grandioser, weiter Natur.
Amerika war und blieb lange Zeit der ferne, alles verheißende Sehnsuchtsort. Wobei Amerika für die USA stand und sehr verschwommen, vom nordamerikanischen Kontinent repräsentiert wurde. Kanada gehörte da einfach dazu.
Mein erster Aufenthalt in Miami 1981 endete jedoch desaströs. Der überall offene und latente Rassismus, diese ekelhafte nationalistische Tendenz, einer nicht freien, sondern in Wirklichkeit engstirnigen und in weiten Teilen ungebildeten, sowie teils sehr gewaltbereiten Gesellschaft, in der jeder nur so frei ist, wie sein Geldbeutel dick, schockierten mich zutiefst.
Ob Alltagstechnik oder Soziales, nichts mehr rechtfertigte meinen Traum, schon gar nichts den amerikanischen Führungsanspruch in der Welt, denn nichts war auf dem Stand, den Hollywood und die Mondlandung suggerierte.
Eine lange Reihe von Skandalen tat ihr Übriges. Nixons Watergate, Reagans geheime Waffengeschäfte, Clintons sexfreier Sex, den Bushs ihre angezettelten Kriege, (und fortführend Obamas Drohnenmorde, sowie Trumps strotzende Dummheit und Lügerei), kämpften das Ansehen der USA als Gesellschaft, in meiner Wertewelt in Grund und Boden. Nicht das Geringste meines ehemaligen Traumes war geblieben. Nichts von Amerika war mehr erstrebenswert.
Aus diesen Gründen erhielt, das zwischen Alaska und USA eingeklemmte Kanada, von dem ich so gut wie nichts gesehen oder gehört hatte, irgendwann, zwischen all dem Verachtenswerten, die Chance entdeckt zu werden.
Von Vancouver über Toronto bis Saint John. Was wir dort real sehen und erleben durften, waren Beispiele dessen, was wir als erstrebenswerte Lebensqualität bezeichnen würden.
Kanada ist für mich zum Schmelztiegel verschiedenster Kulturen und Gesellschaften geworden, die maßvoll und tolerant miteinander umgehen. Ein Land, eine Gesellschaft, nicht frei von Fehlentwicklungen, doch im Saldo überaus positiv. Die Kanadier sind für mich in der absoluten Mehrheit Repräsentanten dessen, was ich als friedfertig, tolerant, hilfsbereit, achtsam und somit erstrebenswert empfinde.
Das Phänomen der deutschen Emotionen Kanada betreffend, ist gewiss ein Stück weit erklärbar: Es ist ein Konglomerat unzähliger und natürlich individuell gewichteter Sehnsüchte, deren Erfüllung man durch das Große und Ganze mit dem Namen Kanada gewährleistet sehen kann.
Natürlich ist per se Deutschland auch nicht zu verachten, doch die Kirschen in Nachbars Garten versprechen einfach mehr Süße. Noch dazu, wenn sie so schön wild romantisch verpackt sind.
Ich wünsche Euch allen, die Ihr Eure Kanadaträume realisieren konntet, alles Gute und Grüße Euch aus good old Germany
Hartmut Gobrecht

Antworten
Bernadette Calonego 24. Juni 2022 - 12:14

Lieber Hartmut, vielen Dank für deinen ausführlichen und hochinteressanten Kommentar. Du hast viele Aspekte auf spannende Weise analysiert und in Zusammenhänge gestellt. Man braucht Sehnsuchtsorte, aber, wie du schreibst, man sollte nicht vergessen, dass sie nicht immer mit der Realität übereinstimmen. Der Traum “einer freien, unreglementierten Gesellschaft, wo jeder permanent umgeben war von grandioser, weiter Natur”, wie du schreibst, steckt wahrscheinlich in allen von uns. Nur wo gibt es das noch? Viele Immigranten aus Europa kehren während der ersten fünf Jahre wieder in ihre alte Heimat zurück, weil sie wirtschaftlich und emotional nicht Fuß fassen konnten. Das ist die Kehrseite der Medaille. Ich bin nach 22 Jahren noch hier, und es gefällt mir immer noch. Ich kann dir nur beipflichten, wenn du sagst, man kann nicht immer definieren, warum einem etwas gefällt und warum nicht. Während der Pandemie sind viele Bekannte durch Deutschland gereist und haben Bilder veröffentlicht. Und ich dachte jedesmal:Was für ein schönes Land! Diese lange Geschichte, die kulturellen Schätze und die wunderbare Natur!
Ich habe mich sehr gefreut, dass du auf meinen Text geantwortet hast. Alles Gute nach Deutschland, und du hast recht: Kontraste machen das Leben suß!

Antworten
Marc Lautenbacher 5. September 2020 - 05:21

Liebe Kollegin Bernadette,
Deine Meinung „Nur wenige Kanadier außer deutsche Immigranten sind je nach Deutschland gereist. Deutschland ist für die meisten Kanadier eine ziemlich unbekannte Größe“ kann ich absolut nicht teilen.
Du weißt sicher, dass ich seit 2007 in Frankokanada lebe und seit 2013 kanadischer Staatsbürger geworden bin. Besonders in Québec habe ich die Erfahrung gemacht, dass mir wildfremde Leute, sobald sie meinen ausländischen Akzent bemerken, wenn ich französisch spreche, mir ihre familiären oder auch engen, freundschaftlichen Beziehungen zu Deutschland mitteilen, die sie mir dann freudig und ungezwungen erzählen! An erster Stelle dieser Québecer steht wohl meine kanadische Lebensgefährtin, deren Urgroßvater Heinz hieß und aus dem Saarland stammte. Seitdem sie 8 Jahre in Deutschland verbracht hatte, ist es heute immer noch das Land ihrer Träume!

Mein Nachbar zum Beispiel verfolgt sehr aufmerksam die deutsche Politik und befragt mich des Öfteren nach meiner Meinung. Unser Vermieter spricht fliessend deutsch und hat ganz Deutschland bereist – ein waschechter Québecer. Die Schwester einer weiteren Nachbarin lebt seit 25 Jahren in Coburg, hat dort eine Familie gegründet und ist dort Oboisten am städtischen Orchester.

Hinzu kommen die unzähligen Geschichten, als Soldaten aus Québec in der kanadischen Militärbasis Lahr sich in eine Deutsche verliebt haben (und umgekehrt) und heute hier leben – ich kenne mehrere davon. Oder dass die Kinder von Frankokanadiern in ihr – von ihnen selbst erklärtes – unbestrittenes Wunschland Deutschland gehen, um dort zu studieren. Ein Québecer Philosophiestudent ging sogar so weit, dass er extra deutsch lernte, um die wichtigen deutschen Philosophen in ihrer Sprache zu verstehen und sie lesen zu können!!

Oder auch, daß zuweilen ihre Vorfahren von den 12.000 Söldnern abstammen, die zwischen 1776 und 1783 Kanada gegen die damaligen, sich neu gebildeten USA verteidigten. In der Stadt Québec wurde dazu erst vor einigen Jahren eine Ehrentafel auf den Plaines d’Abraham aufgestellt, die den Verdiensten deutscher Truppen gewidmet wurde (!). Es gibt hier sogar eine Deutsch-Québecer Gesellschaft, die sich ausschließlich darauf spezialisiert hat, ihre deutschen Wurzeln nachzuforschen und zu pflegen.

Zudem bin ich ja Gründer und Organisator des deutschen Stammtisches in der Stadt Quebec. Von unseren derzeit 82 eingetragenen Teilnehmern sind bestimmt 65 Frankokanadier darunter, die aus eigenem Antrieb deutsch gelernt haben und alles, was mit Deutschland zu tun hat, interessiert oder es hoch verehren. Oder die gar einen deutschen Lebenspartner bei einer Reise nach Deutschland gefunden haben und jetzt hier leben – im Übrigen, wie meine Wenigkeit.

Sicherlich ist auch die Affinität vieler Kanadier, die ich bislang kennenlernen durfte – und nicht nur Frankokanadier – mit Deutschland dadurch gekennzeichnet, daß historisch begründet die vielfältigen Beziehungen zu Europa nie abgebrochen sind. Dies nur zu Deinem besseren Verständnis!
Marc Lautenbacher (Québec – Canada)

Antworten
Kraft, Roland 15. Juli 2020 - 07:32

Ja Bernadette, das mit dem “gebrochenen Herzen” ist an sich eine einfache Sache.
Einmal Kanada, immer Kanada.
Die Art der Menschen, ihre Hilfsbereitschaft, der Umgang mit uns Europäern und der Umgang wir mit ihnen, die Natur und die unendlichen Resourcen aus der Natur. All dies veranlasst mich und meine Frau seit 1974 anfänglich alle 2 – 3 Jahre und seit 1990 jährich 1 – 2 mal in unsere heißgeliebte Urlaubsdestination am Pazifik zu fahren.
Freunde in Kanada zu gewinnen ist, wie in Berichten von “KanadaSpezialist” erläutert, schwierig, aber wir haben sie.
Wir nehmen am Leben der Familien teil, auch Sorgen und Nöte werden angesprochen.
Ganz so unbekannt ist, zumindest bei unseren Freunden, Europa und insbesondere Deutschland nicht, zumal kein Immigrationshintergrund vorliegt. Sie interessieren sich schon für das “Alte Land”, hinterfragen die Wirtschaft, Politik, Gesundheits- und Kulturwesen, gerade jetzt im Bezug auf die Pandemie. Wir freuen uns auf 2021!

Antworten
Bernadette Calonego 15. Juli 2020 - 21:20

Lieber Roland, wie anschaulich du mir deine Liebe zu Kanada erklärt hast! Danke für deine Antwort. Ich bin erstaunt, wie oft ihr nach Kanada reist. Das muss ein echtes Bedürfnis sein. Es ist schön, dass ihr Kanadier gefunden habt, die sich für Deutschland interessieren. Ich beobachte auch, dass sich das Interesse an Europa seit der Pandemie verstärkt hat. Wenigstens etwas Positives an der jetzigen Situation. Ich wünsche euch, dass ihr bald wieder in euer heißgeliebtes Kanada reisen könnt!

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