Die kürzeste Internationale Brücke in Kanada

von Peter Iden

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Die leichtgläubigen Touristen in allen Ländern der Welt werden durch ihre Touristen-Führer sehr oft mit einigen von ihnen frei erfundenen Geschichten gefüttert, welche danach von den Touristen als Tatsachen weiter gegeben werden.
Eine solche fiktive Geschichte ist im Tourismus in Kanada schon seit Anfang 1900 im Umlauf. Es ist die Story von der Zavikon-Brücke (32 Fuss = 10 Meter), angeblich die kürzeste internationale Brücke der Welt, die zwischen zwei Privat-Inseln im St-Lorenz-Strom gebaut wurde.

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Die Touristenboote umkreisen meistens diese Inseln, während die Führer diese Geschichte erzählen. Auf der größeren der beiden steht ein ziemlich substantives Haus, auf der kleineren nur ein Flaggenmast, eine geologische Markierungs-Plakette und ein paar Bäume und Büsche.

Auf der “kanadischen” Seite der Brücke ist eine kleine kanadische, auf der anderen eine kleine amerikanische Flagge angebracht. In der Mitte eine ungarische Flagge, welche selbst die Touristenführer nicht erklären konnten. In meinen späteren Recherchen fand ich nicht nur die Erklärung für die ungarische Flagge, sondern auch eine direkte Verbindung unserer Familie zu den heutigen Eigentümern der Zavikon-Inseln.

Ein kurzer Rückblick auf die Geschichte des St. Lawrence River ist nicht zu vermeiden. In 1793 wurde die Grenze zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten auf dem Fluss praktisch mit einigen wenigen Federstrichen in der Mitte festgelegt. Dabei wurden einige bekannte Inseln, auf denen von reichen Amerikanern und Kanadiern gebauten “Cottages” standen, in die Grenzen ihrer respektiven Länder eingekreist (wie z.B. die Boldt Castle). Eine dieser “Halbkreise” beförderte die ehemalig amerikanische große Zavikon-Insel sowie auch die kleine Zavikon-Insel in das kanadische Gebiet. Der Allgemeinheit war diese Aufteilung unbekannt, und so wurde die Legende der “Brücke zwischen Kanada und den USA” geboren.

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Zavikon Cottage – ca. 1922

Unsere letzte Fahrt auf dem St. Lawrence River war im Mai 2004, als wir diese Geschichte erstmalig hörten. Ob die Touristenführer die Story noch heute erzählen ist mir unbekannt, aber nach der Übergabe der kleinere Zavikon-Insel an Kanada und der großen an die Amerikaner in 1967 wird den Touristen wahrscheinlich die Wahrheit erzählt. Aus Respekt an dieser Regelung hissen die neuen Eigentümer der Inseln täglich beide Flaggen auf den Inseln.

Die Inseln gehörten zu diesem Zeitpunkt einem amerikanischen Eigentümer (scheinbar ein deutsch-oder schweiz-stämmiger US-Entrepreneur namens Elmer Andress) der die darauf stehende “Cottage” in 1902 erbaute und an reiche Geschäftsleute als “Executive Retreat” vermietete, wo diese mit Frauen (allerdings nicht ihre eigenen) ihre “Geschäfte” abwickelten. Die kleine Brücke gab den besuchenden “Businessmen” Zugang zur kleinen Insel als Privatgebiet für ihre “Verhandlungen”.

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Als diese Geschichte in 1947 bekannt wurde, zwang man den Eigentümer, die Inseln zu verkaufen. Sie wurden beide dem ersten Interessenten, dem Philadelphia Geschäftsmann Robert Fleming Rich,
für $ 10.000 verkauft.

Robert war ein strikter Methodist, der (ähnlich den Baptisten, Quakern, Amish, Mennoniten usw.) auf die Rituale der etablierten Kirchen verzichtete und auch Alkohol, Rauchen oder Flüche verbot. Sein Vater immigrierte in 1911 und arbeitete zuerst als Wollkämmer in Germantown in Philadelphia, welches sein späteres Geschäftsfeld sowie das seiner Familie wurde.

6Die Rich Familie verbrachte Teile ihrer Sommer auf Zavikon, zogen jedoch ihre Cottages am Atlantik in Massachusetts und anderen Orten vor. Die Inselwelt des St. Lawrence war zu behemmend und nicht geschaffen für ihre Soziale Welt.
Der Name “Zavikon” hat seinen Ursprung mit dem dritten Motorboot der Familie, einem 7-Meter Mahagoni-Boot, welches als Transport zur Insel und zurück diente, und von seinem vorherigen Eigentümer auf “Zavikon” getauft war.

 

In 1967 änderte die American-Canadian Boundary Commission einige Aspekte der US-Kanada Grenze, unter anderem auch die Grenze bei den beiden Zavikon-Inseln, welche 140 Meter weiter südwestlich bestimmt wurde. Dadurch wurde die kleinere Insel den Kanadiern übergeben, während die größere Insel unter US-Herrschaft blieb. Aus Respekt dieser Regelung hissen auch die neuen Eigentümer der Inseln täglich beide Flaggen auf den Inseln. Aber das hinterlässt noch eine Erklärung der ungarischen Flagge in der Mitte der Brücke.

In 1976 wurden die Inseln von Doktor Donald Rickerd aus Toronto und seiner ungarischen Frau Julie Rekai Rickerd gekauft. Julie’s Mutter Kati Rekai wurde in 1921 als Katalin Desider in Budapest geboren. Sie und ihr Mann Janos Rekai entflohen in 1948  den Kommunisten aus Ungarn, um zuerst nach Paris, dann in 1950 nach Kanada zu immigrieren. Janos’ Bruder Dr Pál Rékai (Paul) folgte im selben Jahr. Beide absolvierten ihre kanadischen Qualifikationen, um in Kanada als Doktoren arbeiten zu dürfen.

Kati Rekai kam nach Kanada mit dem Glauben der Einwanderer-Generation der 1940’er und 1950’er Jahre, dass man seine kulturelle Identität beibehalten und gut in eine kanadische Staatsbürgerschaft eingliedern kann. Meine Frau und ich stimmten mit diesem Glauben 100% überein. Unsere Familie ist seit ihrem Anfang total integriert. Unsere drei Töchter sprechen Deutsch und sämtliche Mitglieder der Familie lieben die deutschen Traditionen, denen wir bei festlichen Gelegenheiten immer noch folgen.

In 1960 hatten wir noch keinen Hausarzt. Die damals beste Freundin meiner Frau, die mit einem Ungarn verheiratet war, empfahl uns zur Geburt unserer ersten Tochter einen von zwei Doktoren aus Ungarn. Es waren die Brüder Dr. Janosh Rekai und Dr. Pál Rékai (Paul).

Hier wird nun die Geschichte für uns persönlich interessant. Die beiden ungarischen Doktoren waren in 1957 Gründer einer Abteilung in dem bereits in 1829 erbauten York General Militär-Hospital an der Simcoe & Queen Street, welches als Toronto General Hospital bekannt wurde. Das TGH war die erste multi-kulturelle Institution (bevor der Begriff “Multikuturalismus” geboren wurde), welche Dienste für Immigranten aus verschiedenen Ländern in etwa 36 Sprachen und mit ethnischen Gerichten anbot.

Dr. Paul Rekai war der Doktor, der dort unsere Töchter in 1961, 1965 und 1967 zur Welt brachte.

(Quellen: Daily News Hungary; Magyar Kronika; Falanzter blog; Atlas Obscura; Globe & Mail ).
https://falanszter.blog.hu/2014/03/20/magyaroke_a_vilag_legrovidebb_nemzetkozi_hidja

(Anmerkung: Die Verantwortung für die Wahl der Bilder in diesem Beitrag liegt einzig und allein bei dem Autor unter der Fair Dealing Provision der kanadischen Copyright-Gesetze)

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