Text und Bild: Bernadette Calonego
Kanadische Neutralität
Was ist merkwürdig an diesem Bild? Ich sehe zwei Wahlplakate harmonisch vereint vor mehreren Häusern in meiner Nachbarschaft. Eines ist für die konservative Partei, das andere für die Liberalen. Sie sind Rivalen: Beide Parteien wollen die Regierung in der Provinz Newfoundland and Labrador bilden.
Als ich einen Nachbarn in meinem Dorf frage, warum er die Plakate beider Parteien vor seinem Haus stehen hat, sagt er: „Ich will doch nicht meine Karten aufdecken. Wenn ich offen die Partei unterstütze, die verliert, dann wird der gewählte Abgeordnete in unserem Wahlkreis nichts für mich tun.“
Eine Bekannte hat ebenfalls beide Wahlplakate in ihr Grundstück gepflanzt. Nach ihrem Motiv gefragt, erklärt sie mir: „Ich habe beide Plakate von Wahlhelfern bekommen, da wäre es doch unhöflich, einfach eines nicht aufzustellen, wenn sie sich schon die Mühe machen.“
Ich finde diese Einstellung typisch kanadisch. Man will tolerant sein und es mit niemandem verderben. Konflikte werden wann immer möglich vermieden. Zwar haben sich die politischen Fronten in den vergangenen vier Jahren auch in Kanada verhärtet. Aber in der Regel weichen die Kanadier politischen Diskussionen aus und beißen sich lieber auf die Zunge, als sich auf die Äste hinaus zu wagen. „Konflikte bringen doch außer Ärger gar nichts“, sagt ein dritter Nachbar. Auch er wirbt für zwei unterschiedliche Parteien vor seiner Haustür und lässt sich nicht in die Karten schauen. Im Frühling wird er mit den Plakaten Löcher in der Wand seines Schuppens bedecken.
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