Wiederholt kürte der weltbekannte Reiseführer „Lonely Planet“ die Küstenstraße Route Nationale 132, die immer am Meer entlang rund um die Gaspésie-Halbinsel führt, zu den schönsten Küstenpanoramastraßen unserer Erde. Warum das so ist, konnte ich auf drei Erkundungs-Reisen dorthin selbst erfahren. Schon die Indianer nannten den Ort, wo heute die Regionalhauptstadt Gaspé liegt, das „Ende der Welt“. Als ich das erste Mal dort war, wusste ich gleich, warum. Die Gegend ist immer noch relativ einsam und wenig frequentiert, sieht man von all den bekannten, touristischen Hochburgen, die ich für unsere Leser besucht habe, einmal ab.
Die genannte Landstraße führt direkt am mächtigen Sankt-Lorenz-Strom und weiter östlich am Atlantik entlang, nur aufgelockert von kleinen, oft wie verlassen wirkenden Fischerdörfchen. Dabei ist es ganz egal, zu welcher Jahreszeit oder bei welchem Wetter man unterwegs ist – es ist hier nie besonders viel los. Kein Wunder, denn mit 30.341 Quadratkilometern ist die Gaspésie zwar so groß wie Belgien, jedoch mit einer Bevölkerungsdichte von lediglich 4,2 Bewohnern pro km². Große Teile sind auch heute noch unbewohnt und werden als so genannte Zones d’exploitation contrôlée, abgekürzt ZEC verwaltet. Übersetzt bedeutet das in etwa: „Schutzgebiete mit kontrollierter Ausbeutung der natürlichen Ressourcen“. Denn der Besuch ist lediglich Jägern und Sportanglern vorbehalten sowie Mitarbeitern der Parkverwaltung.
Das Landesinnere ist relativ wenig erschlossen, was der Halbinsel eine große Biodiversität beschert und ausreichend Raum für weitläufige Nationalparks bietet: der Parc national de la Gaspésie ist sicher der Wildeste von allen, der mit dem Mont Jacques Cartier die höchste Erhebung mit 1.270 m bildet. Für meine Begriffe der beste Ort, um Elche in freier Wildbahn zu sehen. Der herrliche Nationalpark Parc national Forillon, der ganz an der Spitze der Halbinsel liegt und der wichtigste Motor der lokalen Wirtschaft ist, lässt Besuchern am Cap Gaspé das wahrhaftige Ende der Welt bestaunen.
Nicht unweit davon findet man den Nationalpark Île-Bonaventure-et-du-Rocher-Percé, wo das imposante Wahrzeichen der Region steht, der durchlöcherte Felsendom sowie die mit Abstand grösste (!) Seevogelkolonie Nordamerikas.
Der Kleinste von diesen genannten, der Parc national de Miguasha an der Baie des Chaleurs, wurde aufgrund äußerst bedeutender Fossilienfunde 1999 sogar ins UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen. Man fand Versteinerungen, die das Bindeglied zwischen Fisch und Landwirbeltier im Verlaufe der Evolution eindeutig bewiesen.
Die beste Reisezeit ist sicherlich im Sommer, wo die Tage lang und das Klima warm ist. Denn in den Wintermonaten, teilweise schon ab September, schließen viele Beherbergungsbetriebe, Restaurants und Nationalparks sowie sonstige Attraktionen ihre Pforten und bleiben für Besucher geschlossen, zuweilen bis Mitte Mai, wenn noch Schnee liegt. Aus diesem einfachen Grunde konnte sich eine starke, regionale Musikszene entwickeln, denn man hat bekanntermaßen viel Zeit im Winter. Viele unserer Quebecer Superstars der hiesigen Musikszenen kommen von dort und es gibt eine hübsche Anzahl diverser Musikfestivals in der gesamten Region Gaspésie. Das älteste ist sicherlich das Festival en chanson de Petite-Vallée im Juli jeden Jahres in der kleinen Ortschaft Petit-Vallée – nur schlappe 600 Kilometer von der Stadt Québec entfernt, wo ich wohne!
Abermals habe ich drei Perlen der Gaspésie nach ganz subjektiven Kriterien für unsere Leser herausgepickt, die in den folgenden drei Beiträgen auf www.kanadaspezialist.com genauer behandelt werden: Zuerst die sehenswerten Gartenanlagen einer schottischen Aristokratenfamilie, danach spektakuläre Aussichten auf 555 Metern Meereshöhe und schließlich mit dem Schiff zur größten Seevogelkolonie Kanadas. Und wer Leuchttürme mag, sowie wie ich, der kann in der Gaspésie auf der Route des Phares einige der schönsten ganz Ostkanadas besichtigen. Ich kenne sie fast alle!
(Alle Fotos: Marc Lautenbacher)