Shebahonaning – Killarney

von Ira Hoch
Shebahonaning - Killarney

„Bei Sonnenuntergang erreichten wir die Hütte eines Pelzhändlers, sein Name war Lemonrondiere, glaube ich. Sie stand am Ufer eines Kanals, der malerisch zwischen dem Festland und einer großen Insel strömte. Gegenüber, auf der anderen Seite, errichteten Wai-sow-win-de-bay, Yellowhead und seine Leute, Wigwams für die Nacht. Der Anblick war magisch, besonders als es Abend wurde und all die Lagerfeuer in der Dunkelheit leuchteten. Ich kann die Gestalt einer Squaw nicht vergessen, die sich groß und schlank vor den Flammen abzeichnete, über einen Kessel gebeugt, in eine Decke gehüllt, ihr langes Haar von der Abendbrise umspielt.“
Die Engländerin Anna Jameson hätte die Eindrücke ihres kurzen Aufenthalts in Killarney nicht bildhafter darstellen können, als sie ihre Reise 1837 an den Docks der entlegenen Siedlung anlegen ließ. Sie hielt die Szene in einer Bleistiftskizze fest, die sich heute im Royal Ontario Museum in Toronto befindet. Es ist eine der ersten Niederschriften, in der Killarney Erwähnung findet.

Killarney Ontario in the Spring

Killarney, an der Nordküste der Georgian Bay, weniger als 100 Kilometer südwestlich von Sudbury in Ontario gelegen, hieß zu der Zeit noch Shebahonaning und war aufgrund der dortigen Wasserwege eine ideale Schnittstelle der Handelspfade verschiedener Stämme indigener Menschen, die hier aus diesem Grund seit über 2000 Jahren siedelten.

Bis 1963 war Killarney völlig isoliert, da es nur zu Wasser erreichbar war. Die Straße, die an der Ausfahrt ON-637 vom Trans-Canada-Highway 69 Richtung Killarney abzweigt und dann schnurgerade knappe 70 Kilometer durch die Wildnis bis zu dem kleinen Städtchen am Kanal zwischen Festland und George Island führt, wurde dann erst fertiggestellt.

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Trotzdem war es schon ab dem frühen 20. Jahrhundert schick, hier den Sommer zu verbringen. Dampfschiffe brachten die Gäste, die entweder im Killarney Hotel oder in einem der kleinen Cottages Unterkunft fanden, regelmäßig zu den Jackman´s Docks vor dem General Store. Etwas später beherbergte das Fruehauf Establishment „The Northern Branch“, heute Killarney Mountain Lodge, bis zu 90 Gäste pro Woche, die mit dem eigenen Wasserflugzeug eingeflogen wurden.

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Aus dem Killarney Hotel wurde das Sportman´s Inn, blieb bis heute äußerlich unverändert und schenkt seinen Gästen einen großartigen Blick auf George Island und die Docks.

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Einige Namen finden sich seit der Gründerzeit durch Europäer, so wie der von Anna Jameson bereits genannte Etienne Augustin de la Morandiere, der zusammen mit seiner Frau Josephte Sai-sai-go-no-kwe (the Woman oft the Falling Snow), sie stammte vom Volk der Odawa, 1820 die erste dauerhafte Siedlung gründete. Nach einigen erfolglosen Versuchen an anderen Orten stellte er fest, dass hier ein idealer Knotenpunkt für Handel mit den Native People bestand.

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So entstanden einige kleinen Siedlungen infolge von französisch/indigenen Handelsbeziehungen und Heirat untereinander. Auch mit den Missionaren, vorwiegend vom Orden der Jesuiten, kamen junge Männer in die entlegenen Gegenden, die wiederum ansässige Mädchen heirateten und Familien gründeten. Viele der Nachkommen dieser Familien leben heute noch in Killarney und ihre Namen finden sich in den Läden, Geschäften und Handwerken.

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Beim Stöbern im kleinen Dorfmuseum finde ich die Geschichte von Aunt Nancy, Nancy Pitfield, genannt Killarney´s angel of mercy. 1887 in Killarney geboren, kehrte sie nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester aus Montreal hierher zurück und erfüllte fortan allein die Aufgaben einer Krankenschwester, eines Notarztes, Hausarztes und Bestatters. Sie verhalf 512 Babys auf die Welt, deren Mütter sie nicht selten mitten in der Nacht, mit Schneeschuhen und Öllampe ausgestattet, aufsuchte. Durchstreift man den überschaubaren Friedhof des Ortes, wiederholen sich die Gründernamen auf vielen Steinen und Kreuzen. Ähnliche Legenden ranken sich um so manchen, der hier schließlich seine letzte Ruhestätte fand. Die Zeit scheint zu einem Gemenge von Erinnerungen zu verschwimmen und die Geschichten flüstern aus den Blättern der Baumkronen.

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Die Informationsflut des Internets macht das Geschichtenerzählen schwer. Es bleibt nicht wirklich viel Neues zu berichten, da Google und Youtube auf alles längst ein Auge hat und eine Flut von Texten und Beschreibungen liefert.

Was ihnen jedoch nicht gelingt, ist den Zauber einzufangen, der einen hier umfängt. Das zeitlos unveränderte Dorf, die alten Namen auf Gräbern und an Haustüren. Weite Flächen von Marshland, im Wechsel mit Wäldern und Felsen, eröffnen sich längs der Wanderrouten, die sich von kleinen Schleifen bis zu mehrwöchigen Touren ausdehnen. Über Wasserwege könnte man bis nach Québec paddeln, schon nach wenigen Metern abseits der Wege umfängt einen die Natur wie ein Gewand. Hier sah ich meinen ersten und einzigen Braunbären.

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Ich meine, die Stelle entdeckt zu haben, an welcher Anna Jameson damals saß, den traumgleichen Anblick skizzierend, der sich ihr am gegenüberliegenden Ufer von George Island bot. Ich hänge meinen Gedanken nach, und kneift man die Augen etwas zusammen, so glaubt man sie zu erahnen, die Umrisse der Tipis und den aufsteigenden Rauch. Oder sind es Nebelschwaden?

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In den Händen halte ich eines der drei Bücher, die Margaret E. Derry über Killarney, die Menschen und die Landschaft geschrieben hat. Die Familie der Schriftstellerin verbringt jeden Sommer hier, seit 125 Jahren. Hier hat alles einen langen Atem. Ich habe es im General Store entdeckt und blättere durch die Seiten. Der Inhaber hat es mir mit einer Widmung versehen: Purchased at Pitfields General Store, August 2024. Angemessener Name, finde ich. Ich denke an Nancy.

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4 Kommentare

Isolde 27. Oktober 2024 - 09:53

Schöner Bericht, da bekommt man direkt Lust hinzufahren 😃

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Ira Hoch 27. Oktober 2024 - 13:14

Vielen Dank für die schöne Rückmeldung 🙂🍁

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Marc Lautenbacher (Freier Buch-Autor und Stadtführer in Québec) 24. Oktober 2024 - 19:53

Liebe Ira, was für ein herrlicher Artikel, sozusagen über meine Nachbarschaft. Insbesondere die historischen Details haben mich interessiert. In Deiner Biografie bin ich über einen Satz gestolpert: “Nach (meinen) Reisen nach Alberta und Ontario bleibt noch so viel zu entdecken!” Dann kann ich nur sagen, komm doch mal nach Québec und ich zeige Dir den Pferdehof eines hiesigen Freundes! Ausserdem: Du bekommst eine Stadtführung durch das UNESCO-Viertel auf Deutsch von mir – wenn’s sein muss sogar auf Schwäbisch, da ich aus dem Remstal komme!! Bis dahin, Gruss von Marc Lautenbacher, Québec/Canada

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Ira Hoch 27. Oktober 2024 - 14:33

Hallo Marc, vielen Dank für die schöne Rückmeldung, das sind tolle Vorschläge! :-) Tatsächlich waren wir im August für 4 Tage in Québec und auf der Ile d´Orleans, leider viel zu kurz, aber lang genug für den Entschluss, zurückzukommen. Danach ging es weiter nach Tadoussac, was für ein Erlebnis, die Wale dort zu sehen. Herzliche Grüße aus dem Schwabenländle, Ira

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