Kurz nach meiner Ankunft in Kanada in 1954 begann ich mich fuer die Geschichte und die Legenden der eingeborenen Kanadier zu interessieren.
Die mir bisher durch die Literatur mehrerer europaeischer Autoren berichteten Geschichten beruhten sich zum groessten Teil auf “Hoerensagen”. Karl May hatte vor dem Schreiben seiner Indianer-Buecher niemals den nordamerikanischen Kontinent besucht. Das machte er erst spaeter in seiner Karriere. Den “Wilden Westen” jedoch hatte Karl May niemals gesehen. Dasselbe gilt fuer Billy Jenkins und die meisten anderen Autoren.
Die europaeischen “Heldenschreiber” des Westens waren also nichts weiter als Luegen-Barone im Stil von Muenchhausen, aber ihre Geschichten faszinierten meine Generation mit Billy Jenkins (Erich Rudolf Otto Rosenthal) und vorherige Generationen mit Karl May (Karl Friedrich May). Seine frei erfundenen Schriften liefern noch heute Material fuer die Karl May Festspiele in Bad Segeberg und mindestens einem Dutzend anderer deutschen Ortschaften.
Nicht zuletzt war da auch James Fenimore Cooper, dessen Roman “Der letzte der Mohikaner” mehrmals verfilmt wurde (1920, 1932, 1964, 1992) und in Deutschland als ein Teil der “Lederstrumpf-Filme” sowie als populaere Fernseh-Serie lief (in Ost-Deutschland in 1967 als “Chingachgook – die Grosse Schlange” – neu verfilmt und sehr populaer). Aber wie auch Karl May und Billy Jenkins, so kannte Cooper kaum die Indianer, ausser durch einige wenige fluechtige Treffen.
(“Billy Jenkins – Mensch und Legende”, Hansa Verlag, 2000)
https://secure.wikimedia.org/wikipedia/en/wiki/The_Last_of_the_Mohicans
Intensiviert durch meine ersten Kontakte ausserhalb der mir bisher bekannten Literatur fand ich in den Legenden und den muendlich ueberlieferten Geschichten viele Aspekte, welche – zweifellos absichtlich – nicht in den Schriften der Schriftsteller, Missionare und Forscher erwaehnt wurden. Mein Interesse ging darauf hinaus, Mythologie von Fakten zu trennen. Es war ein Unternehmen, welches von Anfang an zum Scheitern bestimmt war, denn selbst die Historiker waren sich oft nicht einig ueber den Ursprung der Legenden, besonders weil es keinen indianischen Kalender gab, in den man sie einordnen konnte. Man muss die Legenden eben so lesen, dass sie das mangelnde Wissen der Indianer ueber viele der Eigenheiten ihrer Umwelt reflektieren, genau so wie es die alten europaeischen Schriften machten.