Rund sieben Monate nachdem ich den Yukon verlassen hatte, war ich Mitte Juni wieder da. Die Hütte war soweit unverändert. Ich wollte zuerst das Äußere des Hauses bearbeiten, sprich die abblätternde, mintgrüne Farbe abschleifen und anschließend ein dunkles Rot auftragen, damit sich die Hütte zumindest farblich ins Dorf einpassen würde . Bei der nächsten Fahrt nach Whitehorse schlug ich im örtlichen Baumarkt nach ausführlicher Beratung groß zu: Schleifpapier, Farbe, Rollen, Pinsel … Halt alles, was der Restaurator so braucht. Die Farbe wurde vom kundig wirkenden Verkäufer nach den Vorgaben zusammen gemixt. Eine Tätigkeit, bei der man eigentlich nicht viel falsch machen kann, dachte ich, und verzichtete auf die Qualitätskontrolle … Daneben bezahlte ich die jährlich anfallende Grundsteuer von 100 Dollar bei der Regierungsbehörde.
Das achte Kapitel finden Sie hier
Die Geschichte einer (etwas anderen) Auswanderung
Donnerstag, 22. April 1954 – St. Lorenz Strom
Heute morgen um 06:00 Uhr kam der Lotse bei Father’s Point an Bord. Er soll uns den St. Lorenz hinauf bringen.
09:00. An Backbord ist das Land jetzt nur als schwarzer Streifen in der Ferne zu sehen. Aber an Steuerbord fahren wir ganz dicht unter Land. Es ist eine ganz andere Landschaft, die wir jetzt sehen.
Unmittelbar aus dem Wasser steigen hohe Berge empor, zum Teil mit Schnee bedeckt, durch den man oft den nackten Fels sieht. Weiter in der Ferne leuchten die weissen Schneekoepfe der Tausender im Inland.
Am Ufer zwischendurch riesige Sandduenen, eine phantastische Landschaft, mit keiner deutschen vergleichbar. Man kann verstehen, dass die Indianer in diesem Land gluecklich waren, bevor der Weisse Mann es eroberte.
Das siebte Kapitel finden Sie hier
Die Geschichte einer (etwas anderen) Auswanderung
Ostermontag, 19. April 1954 – Auf See
09:00 Uhr. Soeben weckt mich das heisere Tuten des Nebelhorns. Ein Blick aus dem Fenster zeigt mir eine dicke undurchsichtige Bruehe. Wir befinden uns jetzt in der Region des haeufigen Nebels vor der Cabot Strait, der Meeresstrasse zwischen Neufundland und Neu-Schottland.
Nachmittags. Der Nebel hat sich verzogen, der Himmel ist jedoch immer noch bedeckt. Man merkt schon, dass wir in Landnaehe kommen. Moeven und Seeschwalben umflattern das Schiff, und viele Lummen oder Dueker tummeln sich ueber dem Wasser.
Abends. Der Nebel ist ploetzlich wieder da, dichter denn je. Er ist nicht wie ein Landnebel, sondern plitschnass und schmutzig grau. Schwer legt er sich auf das Schiff, aber er hat den Vorteil, dass er das Wasser beruhigt.
Beim zuständigen Elektrizitätsunternehmen hatte man sogar eine Karte von Keno City, auf der unter anderem Grundstück 14 mit allen Maßen eingezeichnet war. Sie machten mir schnell einige Kopien und ich rechnete mir aus, dass mein Grundstück rund 2.400 Quadratmeter umfasste. Da in Keno City Strom lag, würde einer Versorgung mit demselben nichts im Wege stehen. Allerdings zeigte sich meine große deutsche Direktbank bei der Überweisung des Geldes recht unflexibel, weshalb ich mein Konto dort kurzerhand auflöste und den größten Teil des Geldes auf ein neu in Kanada aufgemachtes Konto überweisen ließ. Das schreibt sich jetzt recht schnell, war aber mit zahlreichen nächtlichen Telefonanrufen – der Yukon ist 9 Stunden hinter der MEZ zurück – und vielem Neu- und Umplanen verbunden. Ab und an machte ich Urlaub von dem ganzen Bürokram und trieb mich mit Auto, Kanu oder auf Wandersfüßen in der Wildnis herum.
“Keno City ist nicht das Ende der Welt, aber man kann es von hier aus sehen!”
Es war eisig kalt. Das Thermometer zeigte -30° Celsius an. Blitzschnell schälte ich mich aus meinem Schlafsack. Schnell zog ich mir warme Fleecekleidung über. Ich schnappte mir eine alte Zeitung, knüllte sie zusammen und steckte sie in den Ofen. Dann schichtete ich trockenes Holz über das Zeitungspapier und zündete es an. Innerhalb weniger Minuten wurde es mollig warm in meiner Hütte. Ein paar dicke Schuhe übergestreift trat ich vor die Tür und sah das Hotel, das Cafe, das Museum und die restlichen Häuser von Keno City. Dahinter lag der von Schnee überzogene Galena Hill. Links von mir zog der zu Eis erstarrte Lightning Creek durch das Tal, rechts von mir ging es zum Keno Hill hoch. Es würde noch Stunden dauern, bis die Sonne sich über den schneebedeckten Sourdough Hill gekämpft hätte. Ich sog die klare, trockene Luft ein und war wieder mal begeistert davon, meine eigene Hütte und mein eigenes kleines Stück Yukon Territorium zu haben.