Beim zuständigen Elektrizitätsunternehmen hatte man sogar eine Karte von Keno City, auf der unter anderem Grundstück 14 mit allen Maßen eingezeichnet war. Sie machten mir schnell einige Kopien und ich rechnete mir aus, dass mein Grundstück rund 2.400 Quadratmeter umfasste. Da in Keno City Strom lag, würde einer Versorgung mit demselben nichts im Wege stehen. Allerdings zeigte sich meine große deutsche Direktbank bei der Überweisung des Geldes recht unflexibel, weshalb ich mein Konto dort kurzerhand auflöste und den größten Teil des Geldes auf ein neu in Kanada aufgemachtes Konto überweisen ließ. Das schreibt sich jetzt recht schnell, war aber mit zahlreichen nächtlichen Telefonanrufen – der Yukon ist 9 Stunden hinter der MEZ zurück – und vielem Neu- und Umplanen verbunden. Ab und an machte ich Urlaub von dem ganzen Bürokram und trieb mich mit Auto, Kanu oder auf Wandersfüßen in der Wildnis herum.
“Keno City ist nicht das Ende der Welt, aber man kann es von hier aus sehen!”
Es war eisig kalt. Das Thermometer zeigte -30° Celsius an. Blitzschnell schälte ich mich aus meinem Schlafsack. Schnell zog ich mir warme Fleecekleidung über. Ich schnappte mir eine alte Zeitung, knüllte sie zusammen und steckte sie in den Ofen. Dann schichtete ich trockenes Holz über das Zeitungspapier und zündete es an. Innerhalb weniger Minuten wurde es mollig warm in meiner Hütte. Ein paar dicke Schuhe übergestreift trat ich vor die Tür und sah das Hotel, das Cafe, das Museum und die restlichen Häuser von Keno City. Dahinter lag der von Schnee überzogene Galena Hill. Links von mir zog der zu Eis erstarrte Lightning Creek durch das Tal, rechts von mir ging es zum Keno Hill hoch. Es würde noch Stunden dauern, bis die Sonne sich über den schneebedeckten Sourdough Hill gekämpft hätte. Ich sog die klare, trockene Luft ein und war wieder mal begeistert davon, meine eigene Hütte und mein eigenes kleines Stück Yukon Territorium zu haben.
1956 habe ich das Licht der Welt erblickt und eines fiel mir gleich auf: Dunkel ist es und viel zu eng. Es war die Altstadt von Heppenheim, zwischen Hessen, Baden-Würthemberg und Rheinland Pfalz, aber eigentlich zu keinem der drei zugehörig.
Ein Umzug in die Weststadt hat mir für kurze Zeit Erleuchtung gebracht, aber nicht lange, dann wurde die Aussicht von Hochhäusern verbaut und lange Schatten bestärkten das Gefühl, daß hier nicht das Paradies liegen konnte.
Das Gymnasium und erste zaghafte Kontakte mit Französich und Englisch zeigten mir, daß hier nicht der Stein der Weisen liegen konnte. Wie paßt eine Sprache, die nur aus Ausnahmen zu bestehen scheint und der wichtige Teile fehlen, zu einem Land in dem alles geregelt ist und Ausnahmen gnadenlos ausgemerzt werden?
Beschäftigung mit meiner Muttersprache, Hessisch, zeigte mir, daß dies nicht immer so gewesen sein muß. Sprachliche Schätze wie das hessische “kad kadde how” oder seine eifelaner Entsprechung “gift gen grid” lassen eine Zeit erahnen, die schon lange vergessen war, als die Vergangenheit sich vollendete. Die Spanier kennen diese Zeit und die Franzosen können sie beschreiben. Obwohl es diese Zeit im Englischen auch nicht gibt, wird sie doch von den Engländern, bei tiefsinnigen Gesprächen benutzt, besonders wenn es um Werwölfe oder Elfen geht.
Was ich in Deutschland ueber Indianer lernte, stellte sich nach meiner Ankunft in Kanada groesstenteils als viel zu romantisch und oft auch falsch heraus.
Da war zuerst einmal Karl May, der ueber Indianer aller Art schrieb. Faszinierende Geschichten, aber bis in seinem spaeteren Leben hatte er niemals Nord-Amerika besucht, und hatte noch keinen Indianer persoenlich getroffen.
Dann war da mein Jugendheld Billy Jenkins, ein Deutscher, der seinen Namen Wilhelm Gengkers amerikanisierte und spaeter mit seinem Zirkus durch Europa reiste, nachdem er angeblich in den USA ein Texas Ranger war und zahlreiche verheilte Wunden mit sich herum trug, die er (so sagten seine Buecher) in Pistolen- und Gewehrschlachten mit Gesetzlosen und Indianern bekam.
Da waren auch die “Spaghetti-Zorro” Filme, die ich als Junge und Teenager sah, Filme wie “Don de l’Oro”, “Die Maske des Zorro”, “Das Zeichen des Zorro” und viele andere. Nun, das neuere Genre der Westerners ist da schon sehr viel fairer.
Und nicht zuletzt auch die Karl May Festspiele, welche in den fruehen 1950’er Jahren ihren Anfang in Bad Segeberg bei Hamburg hatten.
Das sechste Kapitel finden Sie hier
Die Geschichte einer (etwas anderen) Auswanderung
Oster-Sonnabend, 17. April 1954 – Auf See
Schliesslich war ich ueber dem Buch doch eingenickt, wurde aber um 02:00 Uhr nachts durch einen harten Ruck und gleichzeitigen Krach geweckt. Was war denn nun los? War die “Colonia” am Kentern?
Werden wir ein “Geister-Schiff” und kommen nie in Kanada an?
Schnell in Hose und Jacke geschluepft und hinaus. Aus allen Kabinen kamen verstoerte Passagiere heraus gerannt. “Was war dieser Krach?”.
Ein Blick in den Salon zeigte uns die Ursache. Saemtliche Tische und Stuehle waren in eine Ecke gerutscht, Aschenbecher und anderes lag auf dem Boden herum, Boecke waren umgestuerzt, Lampen umgefallen und die Gardinen herunter gerissen. Es sah aus wie nach einem Bombenangriff.
Auch in den Kabinen war wueste Unordnung, ueberall waren Passagiere und Mannschaft damit beschaeftigt, “Klarschiff” zu machen.