Die Geister der Ewigen Jagdgruende (Seneca).
Kitchi-Manito, der grosse Haeuptling aller Geister, wohnte in den Ewigen Jagdgruenden des Westens, wohin alle Indianer kommen, nachdem sie sterben. Am Anfang war den Indianern nur der Grosse Geist bekannt. Sie wussten nicht, dass noch andere Geister in den gluecklichen Jagdgruenden lebten.
Ein Seneca, ein grosser Jaeger, lief schon mehrere Tage durch den Wald auf der Suche nach jagdbaren Tieren. Aber der Wald war leer, und kein Tier zeigte sich ihm. Er war muede und schwach, und so machte er sich ein Feuer und legte sich unter einen Baum zum Schlafen. Bald war er eingeschlafen. Da umhuellte ihn der Rauch seines Feuers, hob ihn sanft empor und brachte ihn schnell nach Westen, ueber Taeler und Berge, Fluesse und Seen, immer weiter hinter die untergehende Sonne.
Schliesslich erreichte er die Ewigen Jagdgruende und wurde dort vor den Grossen Haeuptlng selbst gebracht. Und Kitchi-Manito sagte ihm: “Du wirst hundert Monde und hundert Sonnen hier bei uns verbringen. Du wirst viel lernen und musst alles erinnern, damit du es den Deinen wieder erzaehlen kannst.”
Als seine Zeit um war, kam die Rauchwolke wieder zu ihm und flog mit ihm gegen den Sonnenaufgand zurueck zu dem Baum. Dort erwachte er und machte sich auf den Weg zurueck in sein Dorf.
Lange Jahre lehrte er die Menschen, was er in den Ewigen Jagdgruenden gelernt hatte. Er erzaehlte ihnen vom Donner-Geist, der Regen, Blitz und Donner macht, und vom Wind-Geist, desen Atem die Stuerme und Winde sind. Und er beschrieb die Ernte-Geister, die als Schwestern auf jedem Feld leben: da ist der Mais-Geist, der Geist fuer Bohnen, und der Geist fuer den Tabak. Wasser, Erde, Feuer, Baeume, Pflanzen, Steine, alle haben ihre eigenen Geister, die die Freunde der Indianer sind. Ihnen muessen sie danken und Geschenke machen, um sie wohlgesinnt zu erhalten.
Als er alle Menschen belehrt hatte, hiess der Grosse Jaeger sie ein gewaltiges Feuer zu machen. Auf dem Rauch dieses Feuers ritt er fuer immer in die Ewigen Jagdgruende zuruck. So kam es, dass heute alle Indianer die vielen Hilfsgeister des Grossen Kitchi-Manito kennen.
Die Geschichte vom Ursprung der Legenden (Seneca).
Fragt man einen Indianer, von wem er die gerade erzaehlte Geschichte gehoert hat, so sagt er “von einem meiner Ahnen.” Wenn man fragt, woher denn der Ahne sein Wissen nahm, so wird man auf den Urahnen verwiesen. Legenden werden von Generation zu Generation weiter gegeben, ohne dass sich etwas wesentlich an ihnen aendert. Die Seneca, einer der sechs Staemme des Irokesen-Buendnisses, wissen jedoch genau, woher ihre Legenden stammen.
Vor unzaehligen Jahreszeiten lebte in einem Seneca-Dorf ein kleiner Waisenjunge. Als er stark genug war, um alleine zu jagen, schickte ihn seine Pflegemutter mit Bogen und Pfeilen aus, um Voegel zu jagen. Zum Sonnenuntergang war er wieder zuhause und brachte sechs Voegel mit sich, die er geschossen hatte. Jeden Tag brachte der Junge mehr Voegel nachhause, bis er sogar den Nachbarn davon abgeben konnte.
Wieder einmal ging der Waise tief in den Wald, um Voegel zu jagen. Er kam an eine kleine Lichtung, in der ein Wigwam aus schneeweisser Rinde stand. Eine Stimme kam heraus und sagte: “lege deine Beute vor meinen Wigwam, setze dich und hoere zu; ich werde dir eine Geschichte erzaehlen.” Und die Stimme erzaehlte den ganzen Tag Legenden, sodas der Junge vergass, zu jagen. Nur drei Voegel schoss er auf dem Weg nachhause, und als seine Pflegemutter ihn fragte, warum er heute nicht mehr Voegel geschossen hatte, meinte er: “es lohnt sich nicht mehr; jeden Tag muss ich weiter und weiter laufen!”
So ging es mehrere Tage lang. Dann schickte die Frau ihm einen anderen Jungen nach. Doch auch dieser kam in den Bann der Stimme aus dem weissen Wigwam, hinterliess seine Beute und hoerte ihr den ganzen Tag zu. Jeden Tag schickte die Frau mehr Jaeger aus, doch alle liessen ihre Beute bei dem Wigwam und lauschten der Stimme. Keiner von ihnen aber sagte je etwas davon, wenn er nachhause kam.
Schliesslich sass das ganze Dorf um den Wigwam herum, und die Stimme sagte zu ihnen: ”hoert gut zu; ich werde euch alle Geschichten der Vergangenheit erzaehlen. Ihr muesst diese an alle eure Nachkommen weiter geben!” Als alle Geschichten beendet waren, schwieg die Stimme fuer immer. So kamen die Legenden unter die Seneca.
Wie das Stachelschwein zu seinen Stacheln kam (Chippewa).
Als die Erde noch jung war, lief das Stachelschwein noch nackt und ungeschuetzt durch sein Leben. Viele Tiere des Waldes stellten ihm nach und wollten es auffressen. So lernte es, bei Gefahr auf die Spitzen der Baeume zu klettern, wohin ihm die grossen Raubtiere – der Baer, der Fuchs, der Wolf, die Wildkatze und andere nicht folgen konnten.
Aber eines Tages wurde das Stachelschwein von einem Baeren gejagt, und es gab keinen Baum in der Naehe. Es versteckte sich unter einem Dornenbusch. Der Baer verletzte seine Nase und seine Tatzen an den Stacheln und musste ohne Opfer laut klagend und blutend davon ziehen.
Das Stachelschwein rief den grossen Nanabojo, Herr ueber alles Lebende, um Hilfe an und bat ihn um ein Schutzkleid, welches ihn wie der Dornenbusch vor den wilden Tieren schuetzen sollte. Nanabojo hatte Mitleid mit dem Tier, tat eine Hand voll Lehm auf seinen Ruecken, brach viele Dornen aus dem Busch und steckte sie in den Lehm, wo sie ein Teil der Haut des Stachelschweins wurden.
Der Baer, der Wolf, der Fuchs und die Wildkatze versuchten nur noch einmal, das Stachelschwein zu fangen. Alle zogen laut heulend von dannen. Noch heute aber klettert das Stachelschwein auf einen Baum, wenn es in Gefahr ist, und dort schlaeft es auch. Nanabojo hatte vergessen ihm zu sagen, dass ihm auf der Erde jetzt keine Gefahr mehr droht.
Wie die Seerosen auf die Erde kamen (Chippewa).
In der gluecklichen Zeit, als noch alle Menschen und Tiere in Frieden miteinander lebten, als noch jeden Tag die Sonne schien und niemals Schnee und Kaelte das Land bedeckten, gab es fuer niemanden Sorgen oder Furcht. Es gab immer genug zu essen, und die Menschen verbrachten ihre Zeit mit Spielen und Geschichten erzaehlen. Tiere kamen und gingen zwischen ihnen, und niemand dachte daran, sie zu jagen oder gar zu toeten. Die Waelder waren voller Hirsche, die Steppen zitterten unter den Hufen Tausender Bueffel, und die Luft war angefuellt mit dem Gesang vieler wunderhuebscher Voegel. Nachts sassen die Menschen und sahen nach den Sternen, den Geistern der Verstorbenen, die droben im Sternenland beim Grossen Geist lebten.
Eines Nachts sahen sie einen neuen Stern am Himmel, groesser und heller als alle anderen. Jede Nacht kam er naeher und naeher. Die Menschen hielten einen grossen Rat. Einige meinten, dass der Stern ein grosses Unglueck bringen werde. Andere wiederum sahen in ihm das Kommen eines grossen Haeuptlings, vielleicht sogar des Kitchi-Manito, des Grossen Geistes. Aber einer der Maenner hatte einen Traum, in dem ihm ein wunderhuebsches Maedchen erschien, ganz in weissesm Leder gekleidet. Er traeumte, dass sie von nun ab auf der Erde leben wollte, weil sie die Menschen liebte.
Die besten der jungen Maenner des Dorfes wurden ausgesandt, das weisse Sternenmaedchen zu bgruessen. Sie gaben ihr schoene Geschenke und luden sie ein, in ihr Dorf zu kommen und dort zu leben. Sie aber verneinte und sagte: “Ich darf nicht mit euch wohnen, sondern nur dicht bei euch sein.”
Und sie wanderte durch das Land, um eine neue Heimat fuer sich zu suchen. Als sie wieder an den See kam, an dem das Dorf lag, sah sie ihr Spiegelbild im Wasser, sagte: “Hier will ich leben.” und tauchte hinab in das Wasser.
Am naechsten Tag, zur grossen Freude der Menschen, schwammen Tausende von Blumen auf dem Wasser, so weiss wie das Gewand des Sternenmaedchens. So kamen die Seerosen auf das Wasser.
Peter Iden.
Brampton, Ontario, Canada.