Im letzten Zensus in Kanada in 2016 waren 9,65% (oder mehr als 3,3 Millionen der kanadischen Bevölkerung) voll oder teilweise deutscher Abstammung. Die provinziellen Prozentsätze mögen einige Menschen überraschen: NL = 1,7; PE = 5,1; NS = 19,7; NB = 4,7; QC = 1,8; ON = 9,0; MB = 17,7; SK = 27,7; AB = 17,9; BC = 13,3; YU = 15,9; NT = 8,3; NU = 2,1.
Man kann die Geschichte der deutschen Einwanderer in Kanada und den USA natürlich im Internet verfolgen, aber ich habe hier die wichtigsten Daten und Informationen für die Leser von Kanada Spezialist summiert.
Die erste Deutsch-Kanadische Kolonie wurde in 1749 von dem britischen Gouverneur Edward Cornwallis in Halifax, Nova Scotia etabliert und zwischen 1750 und 1752 besiedelt. Die Siedler waren als “Foreign Protestants” (Fremde Evangelische) bekannt. Die Britische Regierung wollte mit den evangelischen Siedlern die übergroße Präsenz der katholischen “Acadians” in Nova Scotia ausgleichen.
Die meisten kamen aus dem heutigen Deutschland; eine große Anzahl stammte jedoch aus Siedlungen in Osteuropa und dem Königreich Russland, andere wiederum aus dem Österreich-Ungarischen Reich und der Schweiz.
Wer über kanadische Eiwanderung schreibt darf jedoch nicht die amerikanische Einwanderung auslassen, denn viel der US-Geschichte überlappt die kanadische. In den USA liegt die Anzahl der deutsch-stämmigen Bevölkerung bei 44,2 Millionen, in einer Gesamt-Bevölkerung von 327,2 Millionen, oder 14%. Sie sind damit die Volksgruppe mit dem höchsten ethnischen Anteil. Tatsächlich leben ein Drittel aller ethnischen Deutschen der Welt in den USA.
Um 1600 gab es keine deutschsprachigen Kolonien in der “Neuen Welt”. Die Quaker kamen in 1620 auf der “Mayflower” an. Gefolgt von Mennoniten und anderen deutschstämmigen Volksgruppen, die ab 1663 ankamen und sich hauptsächlich in Pennsylvania, New York und Virginia ansiedelten, später auch in dem “German Belt” (Deutschen Gürtel), der sich in den Westen bis nach Oregon erstreckte (in Kanada in einigen Fällen auch über die Grenze nach Manitoba und Saskatchewan).
Während der Amerikanischen Revolution heuerte King George III deutsche Regimente von kleinen Fürstenhäusern an (die “Hessians”), um für sie in den heutigen Staaten Pennsylvania und New York gegen die Amerikaner zu kämpfen. Nach ihrer Gefangenschaft in Amerika kamen etwa 2,200 dieser Deutschen nach Kanada und besiedelten Teil der Gegenden in Westquebec und Ostontario.
Die größte Flüchtlinswelle aus den USA nach Kanada jedoch bestand aus Mennoniten, welche die USA wegen der Diskrimination gegen religiöse Gruppen nach der Revolution verließen. Die “Pennsilfaanisch Deitsch” oder “Pennsylvania Dutch” bestanden ursprünglich aus Einwanderern aus dem oberen Rheintal (der heutigen Rheinland-Pfalz). Die Sprache der Mennoniten und Amish ist deren Sprache angelehnt und wird noch heute von ihnen benutzt. Die meisten wählten die Gegend von Waterloo County am Grand River in Südontario als ihre neue Heimat. So war das heutige Kitchener bis zum 16. September 1916 als Berlin bekannt. Dazu besiedelten von 1820 bis 1870 etwa 50.000 Neueinwanderer aus Deutschland diese Gegend von Ontario.
Während der größten Welle deutscher Einwanderung in die USA zwischen 1820 und 1870 kamen etwa 7-1/2 Millionen Deutsche dort an. Bereits lange vorher wurde eine Geschichte in Deutschland und den USA geboren (die Muhlenberg Legende) die besagt, dass bei einer Abstimmung über die US-Landessprache zwischen Englisch und Deutsch die deutsche Sprache nur eine Stimme hinter der englischen lag. Bei den Deutschen wurde Frederick A.C.Muhlenberg, der “ Speaker of the House” aus Pennsylvania als “Verräter” bekannt, weil er gegen Deutsch gestimmt hatte.
Tatsächlich erhielt das House of Representatives bereits in 1794 eine Anfrage von einer Deutsch sprechenden Gruppe in Virginia, welche forderte, dass die amerikanischen Gesetze auch in die deutsche Sprache übersetzt werden sollten. In der Abstimmung im Januar 1795 bestimmte das Haus mit 42 zu 41 Stimmen eine Nachdenkpause (daher die eine Stimme). Der Vorschlag wurde etwas später verworfen.
“Germantown” (gegründet in 1683) war zu dem Zeitpunkt ein Teil von Philadelphia und war der Geburtsort des Kampfes gegen die Sklaverei in 1688. Die Schlacht bei Germantown war eine entscheidende Schlacht im Revolutionskrieg der Britischen Armee gegen die amerikanische Kontinental-Armee, an der auch das 2. Kanada-Bataillon unter George Washington teilnahm.
Auch in Washington State gibt es eine “Germantown”, aber trotz der großen Anzahl der deutsch-stämmigen Bewohner (z.B. 3,5 Millionen in Pennsylvania) hat die USA relativ wenige deutsche Ortsnamen vorzuweisen.
In den USA gibt es natürlich trotzdem Ortschaften mit deutschen Namen. Bemerkenswert darunter sind “Germantown” in Washington State und “New Ulm” in Minnesota.
Die am meisten popularisierte “deutsche” Stadt in den USA, Leavenworth in Washington, ist jedoch total auf Touristen konzentriert und wurde nur zu diesem Zweck erbaut. Die Gegend am Icicle Creek war einst Jagd- und Fisch-Gebiet der Yakama, Chinook und Wenatchee-Stämme, in dem Elche und Lachse zahlreich waren.
Weil der Ort Leavenworth und die Umgegend für uns in 2007 eines der schönsten Reise-Erlebnisse präsentierte, und weil seine Geschichte so vielen der wegen ihrer Naturschätze gegründeten Ortschaften in Kanada und den USA gleichen, verzeiht man mir hoffentlich, wenn ich hier kurz die Geschichte der Stadt Leavenworth erwähne.
Die Siedler, hungrig auf Pelze, Gold und Holz, kamen und gruendeten in 1890 den Ort Icicle Flats. In 1906 wurde er auf Leavenworth umbenannt. Eine eigenartige Entscheidung, denn Leavenworth war bekannt als ein Gefängnis in Kansas. Als jedoch die kanadische Great Northern Railway in 1925 ihre Schienen nach Wenatchee umlegte, wurde Icicle Flats eine “Ghost Town” (Geisterstadt). Drei Jahrzehnte lang lebten die Einwohner hungrig und notleidend am Rand des Aussterbens.
In 1965 besuchten zwei Geschäftsleute aus Icicle Flats den Ort Solvang in Kalifornien, der von einer Gruppe dänischer Siedler in 1911 im dänischen Stil erbaut wurde, und seit etwa 1947 ein touristischer Höhepunkt ist. Die zwei kamen mit der Idee zurück, Leavenworth ebenfalls in eine “Themenstadt” mit einem nationalem Charakter umzugestalten. Die Nähe der “Voralpenberge” der Rocky Mountains waren zweifellos ein Faktor in der Entscheidung, der gesamten Stadt eine bayrische Prägung zu geben, obwohl dort nur wenige Deutsche lebten. Bierfeste, Herbstmessen, Lachsfeste, Maifeste und Weihnachtsfeste wurden geboren und sind noch heute im Pazifischen Nordwesten enorm populär. Sie werden jährlich von einer Million Touristen besucht. Wir zwei Touristen besuchten das erstaunliche Solvang in 1988.
Aber nun zurück nach Kanada. Ontario hat etwa 60 Ortschaften mit deutschen Namen oder deutschem Ursprung, darunter Augsburg, Bamberg, Bismarck, Breslau, Dresden, Hanover, Heidelberg, Holstein, Neustadt, New Hamburg, Rostock und Zurich.
PEI hat Charlottetown, soweit ich weiß, der einzige deutschstämmige Name in der Provinz.
Nova Sotia wurde hauptsächlich von französisch sprechenden “Acadians” besiedelt, und es gibt daher wenige deutsche Ortsnamen. Aber die zahlreichen deutschen Familienamen sowie die Lutherischen Kirchen- und Orts-Namen (wie z.B. Lunenburg) sind Zeugen einer deutschen Einwanderung. Die erste deutsche Kirche ist die “Little Dutch Church” in Halifax, heute ein Nationageschichtlicher Platz in Kanada.
In New Brunswick gab es eine “Germantown”, welche etwa in 1765 von einigen deutschsprachigen Ansiedlern aus Pennsylvania gegründet wurde. Die etwa 210 Einwohner zogen um etwa 1900 nach dem benachbarten Hillsborough um.
Quebec hat zwar eine erhebliche Bevölkerung mit deutschem Ursprung, die hauptsächlich aus den USA zuwanderten, hat jedoch keine deutschen Ortsnamen aufzuweisen, weil sich die neuen Buerger und deren Ortsnamen der französischen Sprache anpassen mussten.
Manitoba hat Steinbach, mit 15.829 Einwohnern (2016)
Saskatchewan hat Strasbourg mit 752 Einwohnern (2011)
Alberta jedoch hat eine erhebliche Anzahl deutscher Platznamen. Wo immer die deutschen Einwanderer (hauptsächlich Bauern) sich dort niederließen und Ortschaften gründeten, gaben sie diesen deutsche Namen wie Blumenau, Bruderheim, Carlstadt, Edenwold, Freudental, Graz, Hussar, Josephburg, Lemberg, Neudorf, Nordegg, Langenburg, Stettin und Stalberg.
In British Columbia wird der “deutsche” oder “schweizerische” Charakter in Kimberley und Kaslo (“Little Switzerland”) als Reklame fuer diese Orte angepriesen, aber das Gefühl ihrer Architektur ist nicht bayrisch oder schweizerisch, obwohl die Gegend allerhand deutschstämmige Einwohner hat.
Der erste Weltkrieg und die damit verbundene Feindlichkeit mit allem was Deutsch war brachte eine Umbenennung zahlreicher deutscher (und selbst deutsch klingender) Namen mit sich. Allen voran natürlich Berlin in Ontario, welches nach 1919 auf “Kitchener” umgetauft wurde. Carlsbad (AB) wurde “Alderon”, Bingen (AB) wurde “Nemiskam”, Dusseldorf (AB) wurde “Freedom”, Bismarck (ON) und Hussar (AB) durften ihre Namen behalten, auch Swastiaka (ON), nachdem die Einwohner dieser Stadt den vorgeschlagenen neuen Namen “Winston” (Churchill’s Vorname) energisch ablehnten.
(Anmerkung: Die Verantwortung für die Wahl der Bilder in diesem Beitrag liegt einzig und allein bei dem Autor unter der Fair Dealing Provision der kanadischen Copyright-Gesetze)
9 Kommentare
Hallo, Felipe:
Aine etwas lange Antwort, aber nach meiner Mainung notwendig. Zum Zeitpunkt als wir nach Kanada immigrierten, in der Mitte der 1950’er Jahre, gab es bestimmte Kategorien von Einwanderern, welche von der kanadischen Regierung bevorzugt wurden, Farmer lagen an der Spitze, , schon seit die aus dem Osten Deutschlands kommenden Bauern des 18’ten Jahrhunderts hier landeten. Man darf nicht vergessen, dass die In Kanada internierten deutschen Kriegsgefangenen bis kurz vorher noch zum Grossteil zur Farmarbeit gezwungen wurden. Und natuerlich auch als Holzfaeller. Ich nehme an, dass die letzteren in den bewaldeten Gegenden von Kanada, nachdem die Kriegsgefangenen nach Deutschland zurueckkehren durften, auch im Yukon sehr gefragt waren, selbst wenn sie Deutsche waren. Eine dritte Kategorie waren Flugzeug-Spezialisten fuer die bluehende kanadische Aeronautische Industrie. Meinem Vater als Flugzeug-Ingenieur wurden von den kanadischen Behoerden jede Menge Jobs versprochen. Leider aber lag diese Industrie in den Haenden von britischen Firmen, deren Absage deutlich war: “Wir stellen keine Deutschen ein!”. Ganz Kanada war damals so stark Britisch orientiert. Nun, das ist jedenfalls meine Auffassung als Grund fuer die vielen Deutschstaemmigen im Yukon. Eine Theorie ohne Beweise.
Hallo Peter, Hallo Felipe,
ich habe da eine etwas andere Meinung. In den 50er Jahren war Whitehorse nichts weiter als ein großes Militärcamp, als ich in den 70er Jahren das erste Mal im Yukon war (ich habe ein Jahr dort gelebt), traf man dort keine Deutschen an, außer eine Handvoll Sommer-Touristen in Dawson. Mein Vater schrieb damals das erste deutsche Buch über den Yukon (und viele weitere), es folgten noch viele andere Autoren die von der Abenteuer-Romatik im Yukon schwärmten. Ab den 90er Jahren gab es eine regelrecht Deutsche Einwanderungsflut in den Yukon. Die Einwohnerzahl insgesamt hat sich verdoppelt, die meisten Deutschen die ich inzwischen durch diverse Kanada-Foren kenne, sind vor ca. 20 Jahren oder später dorthin ausgewandert, immer noch auf den Spuren von Jack London!
PS: Der Yukon ist meiner Erfahrung nach mehr Deutschen bekannt, als Kanadiern.
Hallo, Peter. Sorry, habe mich wohl schlecht ausgedrückt. Ich habe deine Daten gar nicht in Frage gestellt. Ich finde nur überraschend, dass sich so viele Leute im Yukon als Deutsche identifizieren. Würde nur gern wissen, wie es historisch dazu gekommen ist…
Weiß vielleicht jemand, wie 15,9% in Yukon zustande kam?
Felipe, meine Angaben stammen aus dem letzten kanadischen Zensus in 2016, nach dem im Yukon 5,570 Menschen deutscher Abstammung leben. Gesamtbevoelkerung in 2016 war 35,874. Der Zensus, den jeder Kanadier gesetzlich und korrekt beantworten muss, analysiert sehr diverse Fakten wie Herkunft, Sprachenkenntnisse, heute noch benutzte Sprachen usw. usw. Du kannst den Zensus selbst einsehen unter
https://www12.statcan.gc.ca/census-recensement/2016/dp-pd/prof/details/page.cfm?Lang=E&Geo1=CD&Code1=6001&Geo2=PR&Code2=60&SearchText=Yukon&SearchType=Begins&SearchPR=01&B1=All&GeoLevel=PR&GeoCode=6001&TABID=1&type=0
Hallo, Walter:
Ich schliesse mich dem Kommentar von Gary Kiemle an. Ich habe bereits sehr viele Beitraege im Kanada Spezialist ueber diverse Reiseziele geschrieben, aber hauptsaechlich ueber den Osten Kanada’s, wo ich lebe (Wasaga Beach, vorher Brampton und Toronto). Seiten wie Kanada Spezialist und das Internet generell sind fantastische Quellen fuer Informationen. “Sucht, und ihr werdet finden”, also eine regelrechte Bibel fuer Reise-Informationen, wenn man das Suchen beherrscht. Allerdings kann niemand ein Ende der Covid-Stuation voraus sagen.
Mit freundlichen Gruessen, Peter Iden.
Vielen Dank für diesen toll geschriebenen und informativen Artikel. Viele der Orte habe ich besucht und mich auf die Spuren der deutschen Einwanderer gemacht. Mich mit mennonitischen Frauen auf deutsch zu unterhalten war ein ganz besonderes und bewegendes Erlebnis, klingt deren Dialekt doch sehr nach der Mundart meiner Großeltern aus Süddeutschland. Mich verbindet viel, persönlich wie beruflich, mit Ontario und ich freue mich über jeden ihrer Berichte!
Hetzliche Grüsse, Ira
Sehr geehrter Herr Iden
Mit Interesse lese ich ihre Kanada Berichte.
Wir planen für die Nachcoronazeit in Eigenregie eine Kanadarundreise mit dem SUV ab/bis Vancouver mit Vancouver Island und Inside Pasage mit der Fähre.
Haben Sie uns hierzu entsprechende Vorschläge?
MIT freundlichen Grüßen
Walter Renz
Hallo Herr Renz,
ich glaube nicht, dass Peter eine Reiseberatung anbietet, zumal eine gute Beratung generell mehrere Stunden in Anspruch nimmt. Zudem kommt Peter Iden aus Ontario, nicht aus BC und nicht aus dem Touristiksektor.
Hier auf unserem Blog finden sie aber massenhaft Reiseberichte- und Vorschläge zu einer Tour ab/bis Vancouver.
Beste Grüße
Gary Kiemle