WAS ESSEN KANADIER – TEIL 1
Wie immer, wenn ich einen Beitrag schreibe, kommt zuerst die Idee aus einem soeben gelesenen Artikel, oft nur aus Fragmenten der Erinnerung, welche von irgendeinem Aspekt meines Lebens ausgelöst wurden.
Beim Recherchieren meiner Themen kommt mir dann sehr oft die Tatsache ins Bewusstsein, dass ich mir wieder einmal etwas ausgesucht habe was nur mit einem unwahrscheinlich großen Zeitaufwand bewältigt werden kann. Glücklicherweise habe ich aber als “Rentner” genügend Zeit vorhanden, um dem Schreiben – einem meiner mehreren Hobbys – nachzugehen. Das Internet spielt bei allen Recherchen eine große Rolle
So ist es auch mit diesem Beitrag. Man muss das Thema schon mit etwas Vorsicht angreifen, denn die persönlichen Ansichten vieler Schreiber spielen immer bei ihren Kommentaren mit. Und dann sind da immer die uninformierten Zweifler. Wie ein in Kanada ansässiger deutscher “Experte” es einmal absolut inkorrekt umschrieb: “Kanada hat keine (Ess-)Kultur!”
Wenn man schon einmal über “Kanadische Esswaren” schreibt, muss man sich vorerst einmal darüber klar werden, was diese eigentlich “typisch kanadisch” macht.
Was heutzutage in Kanada gegessen wird, ist durch die Küchen verschiedener Einwanderer-Gruppen sehr erheblich beeinflusst worden.
Um daher als “kanadisch” angesehen zu werden, muss eine Essware erstens nur in Kanada erfunden oder auf kanadische Art zubereitet worden sein. Zweitens darf die Kategorie auch Mahlzeiten oder Zutaten enthalten, die sich durch Jahrzehnte oder sogar durch Jahrhunderte im Land eingebürgert haben. Stereotypen für den Begriff “kanadisch” sind dabei Maple Sirup und Schweinespeck (Bacon).
Genau gesehen wurde natürlich die Esskultur in Kanada zuerst von den englischen und französischen Einwanderern in den 1500’er und 1600’er Jahren bestimmt. Die wenigen mitgebrachten Zutaten dafür waren nach ihrer Ankunft schnellstens verbraucht, und die Notwendigkeit einer Ersetzung durch “kanadische” Zutaten war fast sofort offensichtlich. In vielen Fällen waren ihnen die eingeborenen Indianer dabei behilflich, sie mit gleichartigen oder – zumindest für sie – total neuen Lebensmitteln bekannt zu machen.
Fangen wir doch zuerst einmal mit drei Gerichten an, welche für die “Süßen Zähne” eine besondere Anziehungskraft haben (“Sweet Tooth” ist die kanadische Bezeichnung für Menschen mit einer Vorliebe für süße Esswaren). Eines von ihnen ist bereits seit 500 Jahren kanadisch; die anderen zwei wurden in 1952 und 1978 “erdacht”.
Dann ist da noch ein neuerer Trend: Poutine, eine Pionier-Mahlzeit, die auch bereits seit einem halben Jahrtausend in einer ursprünglich in Kanada eingewanderten Volksgruppe existierte, aber heutzutage wieder für die gesamte kanadische Allgemeinheit zugänglich ist.
BUTTER TARTS:
Mit “Butter Tarts” haben wir ein typisch kanadisches Gebäck, welches die ersten Pioniere bereits in den frühen 1600’er Jahren zubereiteten, und welches sich vorwiegend im Osten Kanadas bei der Englisch sprechenden Bevölkerung großer Popularität erfreut. Man darf sie allerdings nicht mit anderen ähnlichen Backwaren in Teilen von Nordamerika verwechseln, wie z.B. Pecan Pie aus den US-Südstaaten, Tarte au Succre aus Quebec, Backwards Pie aus den Maritimes, oder die Shoofly Pies der Pennsylvania Dutch.
Besonders in Ontario gibt es jährliche Festlichkeiten, welche den Butter Tarts gewidmet sind, wie z.B. das “Buttertart Festival” der Muskoka Lakes, dem “Butter Tart Trail” in Wellington North und der “Butter Tart Tour” in Northumberland County (seit 1913 kombiniert jeden April abgehalten als “Kawartha Northumberland Buttertart Tour”. Dort streiten sich mehrere Bäckereien um den Titel des “Best Butter Tarts”.
Bäckereien aus ganz Ontario erscheinen jährlich in Midland, Ontario zu Kanada’s größtem Butter Tart Festival, bei dem mehr als 50.000 Butter Tarts verkauft werden.
National Geographic Magazine erwähnte sogar Wasaga Beach als Quelle fuer “homemade butter tarts” im Oktober 2013. Unsere älteste Tochter, die im letzten Jahr nach Wasaga Beach umzog, bringt uns ab und zu einige dieser delikaten “Törtchen” (Tarts) mit.
Butter Tarts enthalten Butter, Zucker, Sirup und Eier, in eine kleine “tart shell” eingefüllt und gebacken bis die Oberfläche solide knusprig ist. Oft werden dem Teig vorher noch Rosinen, Walnüsse oder Pecannüsse zugefügt. Maple Sirup wird selten, wenn überhaupt, in Butter Tarts benutzt.
Butter Tarts waren “in style” als ich in 1954 in Kanada ankam, und einer meiner täglichen Einkäufe vom “Lunch Truck”. Sie sind auch noch heute sehr populär!
BEAVER TAILS:
“Biberschwänze” wurden 1978 in Ottawa geboren, als Grant und Pam Hooker ihr altes Familien-Rezept zum ersten Mal auf der Killaloe Craft and Community Farm einführten. Zwei Jahre später eröffneten sie im Byway Market in Ottawa ihren ersten Verkaufsstand.
Beaver Tails sind ein Hefegebäck aus Weizenmehl, welche vor dem Backen in heißem Fett mit den Händen in die Form eines Biberschwanzes gezogen werden, und nach dem Backen entweder mit Zimt, Puderzucker, Nuttella, Schokolade, Schlagsahne, Beeren usw. bedeckt werden.
Am Anfang 2017 hatte “Beavertails Canada Inc.” bereits 33 “Franchisees” und 43 Lizenz-Staende in Kanada (in Quebec unter dem Namen “Queues de Castor”), in den Vereinigten Staaten, Dubai, Sued-Korea und Japan.
Sogar Barack Obama hatte schon von dieser kanadischen Spezialitaet gehört und ehrte die Byway Market Lokalitaet mit einem Besuch während seiner Ottawa-Visite in 2003, um dort einen speziell breiteten “Obama Tail” zu verzehren!
NANAIMO BARS:
Das “Women’s Auxiliary of the Nanaimo Hospital” in British Columbia (Auxiliaries dienen als unbezahlte Voluntäre in fast allen kanadischen Krankenhäusern) brachte in 1952 ein kleines Kochbuch heraus, in dem ein Rezept fuer “chocolate squares” enthalten war. Ein Jahr später tauchte das Rezept in einem Vancouver Kochbuch als “Nanaimo Bars” auf. Ob nun die heutige Version ihren Ursprung in dem kleinen Ort Nanaimo in British Columbia hat, wird immer noch debattiert.
Der Nanaimo Bar ist eigentlich kein “Gebäck” sondern ein super-süßes, quadratisches Gebilde aus zwei Schokoladencheiben mit einer Vanille-Custard-Füllung und einer krümeligen Graham Crackerscheibe dazwischen. Es gibt auch Variationen mit Erdnussbutter, Mint-Chocolate und anderen Zutaten.
Es gibt kaum einen Supermarkt oder Gebäckladen in Kanada der keine Nanaimo-Bars anbietet. Eine äußerst hohe Toleranz für Zucker ist die Voraussetzung für den Verzehr eines Nanaimo Bars!
Als Nebengedanke: auf fast jeder karibischen Insel wird den Touristen ein Platz gezeigt, wo Christopher Columbus zuerst in Amerika gelandet ist. Mit Nanaimo Bars ist es ähnlich so.
Nicht nur Nanaimo, sondern auch andere Lokalitäten von British Columbia bis Nova Scotia geben sich Kredit als Erfindungsorte dieser leckeren Bissen. Aber der Name allein ist wohl die beste Aussage über seinen Ursprung, denn wer in einem anderen kanadischen Ort würde seine Kreation nach einem Ort auf Vancouver Island benennen?
POUTINE:
Das original französische Gericht “Poutine” hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem, was sich heute in Ost-Kanada als eines der populärsten Gerichte durchgesetzt hat. Poutine jedoch als “Kanadisches National-Gericht” zu erklären (wofür einige Leute aktivieren), würde nicht mit der Tatsache übereinstimmen, dass die kanadische Küche ein Kaleidoskop der von den verschiedenen Immigranten-Gruppen mitgebrachten Rezepte ist, mit einem guten Schuss eingeborener Zutaten.
Die ursprüngliche “Poutine” stammt aus Frankreich. Sie war und ist immer noch ein Bestandteil der akadischen Küche in den Atlantik-Provinzen, vornehmlich in Nova Scotia. Die “Acadian Poutine” bestand aus Kartoffel- oder Mehl-Klößen, ausgestopft mit Fleisch oder Seeprodukten (Hummer usw.).
Wir hatten im März 2010 das Glück, eine Original-Acadian “Poutine” in Nova Scotia serviert zu bekommen, in einem Privathaus in Lower West Pubnico, wo wir aufgrund eines kleinen Schildes einkehrten. Wir hatten die “Village Historique de la Nouvelle Ecosse” besucht, waren sehr hungrig, aber konnten kein Restaurant finden, weil es dort eben keine gab.
Die kleinen Kartoffelklöße mit Füllung erinnerten mich unwahrscheinlich an die in Hamburg populären Kartoffelklöße, welche oft von meiner Großmutter serviert wurden, mit knusprig gerösteten Brotwürfeln als Füllung.
Die heutige “Fast Food Poutine” dagegen wurde in den mittleren 1960’er Jahren in Quebec “erfunden”, zuerst als einfache Mischung von “French Fries” mit Käse, mit einer Soße übergossen.
Dass der Begriff “Poutine” vom englischen “Pudding” abgeleitet ist, wurde nie bewiesen. Englische “Puddings” enthalten allerdings vorwiegend Fleisch, und so ist der Ursprung des Namens schon logisch vertretbar. Die Präsenz von englischen Siedlern im Westen Frankreichs (welches stark römisch beeinflusst war) macht es möglich, dass das Wort “Pudding” von den nach England zurück kehrenden “Normannen” dort eingeführt wurde. Aber auch das wurde nie von Historikern bewiesen.
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